Im Gespräch mit… Maren Borggräfe

„Die Befürchtung – so subjektiv sie sein mag – hat in jedem Falle erst einmal ihre Berechtigung.“

Maren Borggräfe, Gründerin und Partnerin von autenticon – consulting in context, begleitet als systemische Beraterin, Trainerin
und Coach persönliche und organisationale Veränderungs-prozesse.

Ihre Herzensthemen sind Wandel von Unternehmenskultur und gelingende Kommunikation. Sie begleitet als Trainerin das PROUT AT WORK-Seminar „Soll ich oder soll ich nicht?“ Coming Out am Arbeitsplatz.

Maren, Du bist dieses Jahr zum 3. Mal in Folge als Trainerin für das Coming Out Seminar „Soll ich oder soll ich nicht“ von PROUT AT WORK engagiert. Welchen Bezug hast Du zum Thema LGBT*IQ und Coming Out?

 

Maren Borggräfe: Als ich 19 Jahre alt war, kurz nachdem ich aus einer süddeutschen Kleinstadt zum Studium nach Berlin gekommen war, dämmerte mir, dass ich mich auch in Frauen verlieben kann – und das heftig! Das war für mich – aus einem sehr religiösen Elternhaus stammend – bisher völlig außerhalb jeder Denkmöglichkeit gewesen. Denn Homosexuelle waren aus meiner Sicht Sünder, die sich bemühen mussten, wieder auf den rechten Weg zu kommen. Was für ein Schock – für mich, aber vor allem für meine Eltern! Meine Mutter hat recht schnell gespürt, dass irgendwas im Busch war, so dass ich keinen anderen Ausweg sah, mich relativ schnell zu Hause zu outen. Danach nahm das Schicksal seinen Lauf. Meine Eltern lehnten meine „unnormalen“, nicht gottgewollten Neigungen ab und können bis heute mein Lebensmodell nicht vollständig akzeptieren. Und das, obwohl ich nach einigen Irrungen und Wirrungen seit 14 Jahren mit meiner Frau zusammen bin und wir zwei wunderbare Jungs zusammen haben. Aus der eigenen Erfahrung heraus weiß ich, in welche inneren und äußeren Nöte einen das Coming Out bringen kann. Gleichzeitig habe ich aber auch erlebt, wie sehr die Auseinandersetzung mit sich selbst zur eigenen Reifung beiträgt und welche Kraft ich aus dieser Facette meiner Persönlichkeit schöpfen kann, wenn ich voll dazu stehe und sie offen lebe.

„Aus der eigenen Erfahrung heraus weiss ich, in welche inneren und äusseren Nöte einen das Coming Out bringen kann.“

Welche Erfahrungen hast Du bei Deinem Coming Out gemacht?

 

Maren Borggräfe: Mein Coming Out in der Familie war ein steiniger Weg, angefangen vom elterlichen Verbot, darüber gegenüber Dritten, sogar den eigenen (jüngeren) Brüdern zu reden, über Phasen der völligen Entfremdung von meinen Eltern bis hin zu der überraschenden Erkenntnis, dass Unterstützung von unvermuteter Seite kommen kann. So haben meine Großeltern und meine Tanten mütterlicherseits mich von Anfang an sehr unterstützt und auch meine Oma väterlicherseits reagierte überraschend gelassen. Andere Familienmitglieder lehnten es wie meine Mutter ab, zu meiner Hochzeit zu kommen. Das schmerzte damals sehr. Geholfen hat mir ein ganz aktiver durch eine professionelle Coach begleiteter Prozess der Annahme – meiner selbst, aber auch der Menschen, die Schwierigkeiten mit meinem so sein hatten und haben. Die Erkenntnis, dass jede und jeder es eben so gut macht, wie sie oder er kann, und ich eine Haltungsveränderung bei anderen nicht selbst herbeiführen oder gar erzwingen kann, war ganz wichtig für mich. Ich habe dadurch innere Freiheit gewonnen, konnte die Rebellin in mir versöhnen und dadurch auch wieder den Boden für Annäherung, gerade mit meiner Mutter, bereiten.
Im Freundeskreis und beruflich habe ich bis auf ganz wenige Ausnahmen sehr gute Erfahrungen mit dem Coming Out gemacht. Je offener ich selbst mit meiner Lebensweise umgehe, umso offener sind auch die Reaktionen. Am Arbeitsplatz bin ich ganz unterschiedliche Wege gegangen beim Coming Out. Da ich meine Frau bei der Arbeit kennengelernt habe, während wir beide noch in der Probezeit waren, haben wir uns zunächst sehr zurückgehalten. Bis eine eigentlich nicht Eingeweihte und fragte, ob wir noch zusammen seien, es gingen Gerüchte herum, wir hätten uns getrennt. Danach hielten wir es nicht mehr für erforderlich, um den heißen Brei rumzureden. Tatsächlich war kaum jemand überrascht. Kein Wunder! Wir waren sowas von verliebt. Das lässt sich schwer verbergen. Bei einem späteren Arbeitgeber habe ich mich vor versammelter Mannschaft geoutet bei der Vorstellungsrunde der „Neuen“, indem ich als Hobby mein politisches Engagement im LGBT*I-Bereich genannt habe. Auch hier waren die Reaktionen eher anerkennend und bestätigend, wenn auch spürbar war, dass ich als irgendwie „anders“ wahrgenommen wurde. Seit ich selbständig bin, handhabe ich es so, dass ich bei Kooperationspartnern und Kunden, abhängig von der Situation, von meiner Familie erzähle oder auch nicht. Einfach so, wie jeder Hetero auch abhängig vom Bauchgefühl mehr oder weniger Privates erzählt.

Warum ist Deiner Meinung nach ein Coming Out am Arbeitsplatz wichtig?

 

Maren Borggräfe: Ich bin überzeugt, dass Menschen dann am kreativsten, innovativsten und effektivsten Arbeiten, wenn sie sich in ihrer Arbeitsumgebung wohlfühlen, ihren Kolleg_innen und Vorgesetzten vertrauen und sich in der Ganzheit ihrer Persönlichkeit zeigen dürfen. Wenn ich einen Teil meiner Energie darauf verwenden muss, einen Anteil meiner eigenen Persönlichkeit zu verbergen, fahre ich quasi mit angezogener Handbremse. Das ist sehr anstrengend und energieraubend. Kraft, die ich für meine Arbeit gut gebrauchen könnte, geht verloren. Ich befinde mich im ständigen inneren Konflikt mit mir selbst. Authentisches Auftreten ist dann schwierig. Denn wir Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür, wenn unser Gegenüber sich nicht in sich stimmig verhält. Gerade für Führungskräfte kann das zum Problem werden. Abgesehen davon, dass wir erpressbar sind, wenn wir ein Geheimnis haben, ist es eine ständige Wackelpartie, sich zu exponieren – und das fordert die moderne Arbeitswelt häufig von uns. Der dabei entstehende Stress kann sogar krank machen und zu psychosomatischen Symptomen führen.
Umgekehrt kann ich eine Organisation durch mein offenes Auftreten unheimlich bereichern und zur Diversität beitragen, die – das ist wissenschaftlich erwiesen – Voraussetzung ist für die hohe Leistungsfähigkeit von Teams. Ich kann ein Stück Kultur mitgestalten und durch mein Vorbild auch anderen den Weg bereiten.

„Grundsätzlich möchte ich allen da draußen, die noch am Zaudern sind (und es gibt noch viel mehr davon, als wir ahnen!), Mut machen!“

Was würdest Du LGBT*IQ Beschäftigten raten, die die Befürchtung haben bei ihrem Coming Out am Arbeitsplatz auf Ablehnung zu stoßen?

 

Maren Borggräfe: Die Befürchtung – so subjektiv sie sein mag – hat in jedem Falle erst einmal ihre Berechtigung. Jede und jeder kann selbst entscheiden, ob und wenn ja, wann und wie er oder sie sich outet. Das ist mir ganz wichtig zu sagen. Insbesondere im Kontext des organisationalen Diversity Managements, das ja teilweise das Coming Out als wünschenswert darstellt. Das ist eine ganz persönliche Entscheidung, die weitreichende Folgen haben kann.
Ich empfehle, sich mutig Unterstützung zu holen. Das kann ein Freund, eine Freundin sein, zu der wir Vertrauen haben, ein Ansprechpartner in der Organisation z.B. aus dem LGBT*I-Netzwerk, falls vorhanden, oder ein professioneller Coach. PROUT AT WORK bietet regelmäßig das Seminar „Soll ich oder soll ich nicht? Coming-Out am Arbeitsplatz“ an. Dort können sich LGB angeleitet von erfahrenen Trainer_innen in geschütztem Rahmen austauschen, ihre bisherigen Coming-Out-Erfahrungen reflektieren, neue Verhaltensweisen ausprobieren und sich gegenseitig für das Coming Out im Job stärken. Auch immer mehr Coaches offerieren Begleitung beim Coming Out an. Häufig kommen diese – so wie ich – selbst aus der LGBT*I Community und kennen die besonderen Herausforderungen aus eigenem Erleben.
Es hilft vielen, die vor der Entscheidung stehen, sich selbst zu am Arbeitsplatz zu outen, sich mit den eigenen bisherigen Erfahrungen mit dem Coming Out in anderen Kontexten auseinanderzusetzen. Was habe ich erlebt? Wie habe ich mich dabei gefühlt? Was waren typische Reaktionen anderer und wie ging es mir damit? Was waren meine „Helferlein“, Strategien und Verhaltensmuster, die mir halfen, mit der schwierigen Situation umzugehen? Welche davon stärken mich vielleicht für die jetzige Situation? Welche möchte ich lieber ablegen und wie möchte ich es diesmal stattdessen angehen?
Auch sollten Beschäftigte sich gut informieren, ihr Umfeld beobachten und realistisch einschätzen: Wie offen ist die Organisationskultur? Wie wird hier grundsätzlich mit Fremdem umgegangen? Welche offenen LGBT*I gibt es in der Firma? Welche Risiken hat ein Coming Out? Und bin ich bereit, diese zu tragen? Wie wichtig ist es mir, mich zu outen? Und welchen Nutzen habe ich davon? Bin ich ggfs. bereit, auch den Arbeitgeber zu wechseln, wenn es nicht passt?
Grundsätzlich möchte ich allen da draußen, die noch am Zaudern sind (und es gibt noch viel mehr davon, als wir ahnen!), Mut machen! Traut euch, euch zu zeigen. Wenn ihr in eurer Mitte seid und zu euch steht, tun sich unerwartete Wege auf. Das was ihr aussendet, kommt zu euch zurück!

Im Gespräch mit… Ise Bosch

„Die Überreste der eigenen Vorurteile abbauen!“

Ise Bosch ist Gründerin und Geschäftsführerin der Dreilinden gGmbH in Hamburg, die sich für die Rechte von lesbischen, bi-, trans* und inter* Menschen, Frauen und Mädchen einsetzt, und Mitgründerin von filia.die frauenstiftung.

Die zertifizierte Ecoanlageberaterin tritt öffentlich für den verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit Vermögen ein. 2003 gründete sie zusammen mit anderen Frauen das Erbinnen-Netzwerk Pecunia e. V. 2007 erschien im Verlag C.H. Beck ihr Buch „Besser spenden! Ein Leitfaden für nachhaltiges Engagement“, 2018 ihr Buch „Geben mit Vertrauen“.

2017 erhielt Ise Bosch den Transformative Philanthropy Award der Astraea Lesbian Foundation for Justice in New York City. 2018 erhielt sie den Deutschen Stifterinnenpreis.

Frau Bosch, warum setzten Sie sich mit Dreilinden für LGBT*IQ-Menschen weltweit ein?

 

Ise Bosch: Die Frage sollte lauten: warum setzen sich so wenig Menschen und Institutionen hierfür ein. LGBTIQ-Menschen gehören zu den gefährdetsten sozialen Gruppen überhaupt. Trans-Frauen sind fast fünfzigmal eher HIV positiv als der Durchschnitt der Bevölkerung, beispielsweise, und kaum jemand macht so viele Selbstmordversuche wie LGBTQ Jugendliche. Dennoch ist Dreilinden eine von nur zwei Stiftungen in Deutschland, die auf dieses Thema spezialisiert sind und international fördern. Deutsche Förderungen zu diesem Thema ins Ausland – inklusive öffentlicher Förderungen – beliefen sich 2016 auf bescheidene 3,1 Mio. Euro. Die darin enthaltenen 684.000 Euro von Dreilinden sind mehr als die Summe, die unser Entwicklungsministerium diesem Thema widmet.

Im Rahmen unserer PROUT AT WORK-Konferenz 2018, befassen wir uns unter anderem mit der Situation von LGBT*IQ-Personen in Russland, der arabischen wie auch afrikanischen Welt. Wo sehen Sie Unterschiede in der Gleichstellungsarbeit innerhalb der unterschiedlichen globalen Regionen? Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten?

 

Ise Bosch: Diese Antwort wird hier nur sehr pauschal sein können und es gibt immer Gegenbeispiele. Grundsätzlich ist zu beobachten, dass stark religiös geprägte Kulturen geschlechtliche Vielfalt eher ablehnen – nicht nur der Islam, auch katholische und evangelikalisch-christliche Religionen. Sogenannte Verfolgerstaaten mit starker rechtlicher Diskriminierung bis hin zur Todesstrafe für Sex unter Männern finden sich vermehrt ehemals kolonialisierten Ländern. Die Verfolgung hat einen Hintergrund noch aus der Kolonialzeit – die Sittengesetze sind häufig noch die der Kolonialmächte! Sie sind eine enorm wirkmächtige Hinterlassenschaft der Missionierung – durch uns, die Europäer. Strukturelle gesellschaftliche Diskriminierung macht das Leben für queere Menschen ebenso gefährlich wie rechtliche Diskriminierung – besonders wenn eine Kultur stark patriarchalisch geprägt ist, so wie viele Gesellschaften des ehemaligen Ostblocks, gerade in Russland, der Ukraine und den zentralasiatischen Republiken. Und wenn sich eine Gesellschaft nationalistisch abschottet und militaristischer wird, dann wird die Geschlechter-Binarität forciert, das geht grundsätzlich immer zu Lasten von sexuell und geschlechtlich diversen Menschen.

Gibt es aus Ihrer Sicht eine unternehmerische Verantwortung für LGBT*IQ Menschen weltweit?

 

Ise Bosch: Natürlich, schon allein aus Verantwortung für die Mitarbeitenden – ob sie nun selbst zur „community“ gehören oder Angehörige oder Freund_innen dort haben oder einfach die Möglichkeit haben wollen, sich persönlich frei zu entwickeln. Unternehmen haben natürlich ein Interesse am Wohlergehen ihrer Mitarbeiter_innen, nicht nur weil sonst die Produktivität leidet, sondern einfach so, aus Verantwortung als Arbeitgeber. Und damit haben sie auch ein Interesse an liberaleren Gesetzen. Es ist ein Unding, wenn einzelne Mitarbeiter_innen nicht nach Singapur entsandt werden können, weil es dort diskriminierende Gesetze gibt. Aber solange diese Gesetze und das gesellschaftliche Tabu existieren, brauchen die Mitarbeitenden Ansprechpartner_innen im Unternehmen, die sie vertrauensvoll beraten können. Dazu muß das Unternehmen sehr deutlich klarstellen, daß es Diversität unterstützt und sich um die entsprechende Expertise bemüht. Es geht ja nicht nur um die wenigen lesbischen und schwulen Menschen und die noch weniger trans und inter Personen, es geht um Entfaltungsmöglichkeiten für alle. Die Soziologie weiß inzwischen, dass wesentlich mehr Menschen im Lauf ihrer Biographie die sexuelle Orientierung ändern, als früher angenommen wurde.

Das Center for Talent Innovation proklamierte in einer 2016 veröffentlichten Studie, dass Unternehmen den Einfluss ihrer jeweiligen Wirtschaftsmacht in der Arbeit um rechtliche Chancengleichheit für LGBT*IQ-Personen nicht unterschätzen sollen. Wo sehen Sie konkrete Handlungsmöglichkeiten global agierender Unternehmen?

 

Ise Bosch: In mindestens zwei Hinsichten: erstens können sie diskriminierungsarme Arbeitsplätze bieten, und im Fall eines Konfliktes auch Schutz. Und zweitens haben sie vor Ort einen ganz besonderen Zugang zur Verwaltung, Regierung, etc. Nicht nur um formell intervenieren zu können – auch über ihre Beziehungen. Gerade mächtige „Expatriates“ begegnen Menschen mit allerhand Einfluss und können, oder könnten, Hilfe leisten wie sonst kaum jemand. Nicht nur in Krisenfällen natürlich, auch im Sinn einer Horizonterweiterung, durch ihre liberalere Einstellung. Homo- und Transphobie hat eine starke Komponente der schlichten Ignoranz – Menschen kennen das Thema schlecht, sie haben Fragen, die sie aber nicht offen stellen, weil sie verunsichert sind und eine Art „Ansteckung“ fürchten. Wir müssen Situationen finden, in denen die legitimen Fragen gestellt werden können, und sie auch beantworten. Das direkte Gespräch ist dafür natürlich das Beste, und eine vertrauensvolle Situation. Auch Menschen, die nicht zur „community“ gehören, aber ein gewisses „Standing“ haben, können hier Biographien positiv verändern.

Wir befinden uns in ambivalenten Zeiten. So beschrieben Sie in der vierten Ausgabe Ihrer Regenbogen-Philanthropie, zum einen das wachsende Verständnis, dass Diskriminierung von LGBT*IQ-Personen Unrecht ist, zum anderen ihre Lage jedoch nicht weniger – wenn nicht sogar zunehmend prekärer wird. Welchen Beitrag kann jede_r einzelne von uns leisten, dass die Welt für LGBT*IQ Menschen etwas besser wird?

 

Ise Bosch: Die Überreste der eigenen Vorurteile abbauen! Sich trauen, die eigenen kritischen Fragen zu stellen: wo wird’s für mich peinlich, wo sind meine Ängste? Und dann trotzdem öffentlich das Wort ergreifen. Und echte Freundschaften eingehen. Persönliche Freundschaften geben einen unersetzlichen Hintergrund, um für Menschen, die geschlechtlich oder sexuell anders gestrickt sind, auch aufstehen zu können. Und vieles davon ist übertragbar, es gilt in China und in Chemnitz.

Was glauben Sie hält Die Zukunft für die Gleichstellung von LGBT*IQ-Menschenrechten bereit?

 

Ise Bosch: Die Globalisierung ist hier besonders wirkmächtig und sicherlich unumkehrbar. Menschen haben sich schon immer vielfältig geschlechtlich ausgedrückt – nun wird das überall medial erfasst und damit sichtbar. Ich erwarte auf viele, viele Jahre ein Hin und Her zwischen denen, die sich bedroht fühlen und diese Vielfalt bekämpfen, und jungen Leuten, die einfach sind, wie sie sind. Deren Mittel sind aber stärker geworden. Ich glaube, in einer nicht allzu fernen Zukunft wird „community“ und Hilfe für alle geschlechtlich diversen Menschen irgendwie erreichbar sein. Auch wenn die demokratischen Systeme derzeit immer prekärer werden – diese mediale und gelebte Vielfalt wird sich nicht unterdrücken lassen. Das wird für die Einzelnen ein riesiger Fortschritt sein gegenüber jetzt, wo noch immer die meisten jungen geschlechtlich diversen Menschen glauben, sie wären die einzigen mit diesem „Mangel“.

Beth Brooke-Marciniak

„Mein Leben wandelte sich zum Guten; von einem Moment zum anderen von schwarz/weiß zu bunt. Nach 52 Jahren.“

Schon zum dritten Mal in Folge waren Senior Executives bedeutender deutscher und internationaler Wirtschaftsunternehmen und –institutionen der Einladung des PROUT AT WORK-Netzwerkes in die Bankenmetropole Frankfurt am Main gefolgt um sich beim DINNER BEYOND BUSINESS in lockerer Atmosphäre und bei einem erstklassigen Abendessen über die Potentiale und Wege zu einer offenen, vielfältigen und diskriminierungsfreien Arbeitswelt auszutauschen.<br>Darunter waren Vertreter_innen von Continental, BASF, Vattenfall, Coca Cola, Thyssenkrupp, der Europäischen Zentralbank und SAP. In diesem Jahr war es dabei gelungen mit Beth Brooke-Marciniak eine der 100 einflussreichsten Frauen der Welt als Keynote-Speakerin zu gewinnen und mit ihr in einem ungezwungenen Face-to-Face-Dialog, der viele einfühlsame Einblicke und beeindruckende Aussagen zuließ, vor dem spektakulären Ausblick von Deutschlands höchstem Wolkenkratzer ins Gespräch zu kommen.

Mutig“. Dieses Wort kommt einem zwangsläufig in den Sinn, wenn man Beth Brooke-Marciniak, Global Vicepresident Public Policy und Vorstandsmitglied beim global operierenden Beratungshaus EY (Ernst & Young), beim Kamingespräch mit PROUT AT WORK-Vorstand Albert Kehrer zuhört.

Schon zum dritten Mal in Folge waren Senior Executives bedeutender deutscher und internationaler Wirtschaftsunternehmen und –institutionen der Einladung des PROUT AT WORK-Netzwerkes in die Bankenmetropole Frankfurt am Main gefolgt um sich beim DINNER BEYOND BUSINESS in lockerer Atmosphäre und bei einem erstklassigen Abendessen über die Potentiale und Wege zu einer offenen, vielfältigen und diskriminierungsfreien Arbeitswelt auszutauschen.
Darunter waren Vertreter_innen von Continental, BASF, Vattenfall, Coca Cola, Thyssenkrupp, der Europäischen Zentralbank und SAP.

In diesem Jahr war es dabei gelungen mit Beth Brooke-Marciniak eine der 100 einflussreichsten Frauen der Welt als Keynote-Speakerin zu gewinnen und mit ihr in einem ungezwungenen Face-to-Face-Dialog, der viele einfühlsame Einblicke und beeindruckende Aussagen zuließ, vor dem spektakulären Ausblick von Deutschlands höchstem Wolkenkratzer ins Gespräch zu kommen.

Vorbilder – „Wer, wenn nicht ich?“

„Wie mutig“, denken die Zuhörer_innen im Saal also still in sich hinein, wenn Beth Brooke-Marciniak erzählt, dass sie die längste Zeit ihres Lebens nicht offen mir ihrer sexuellen Orientierung umgegangen sei.
Es war im Februar 2011, als sie an der Video-Kampagne „It Gets Better“ zur Ermutigung von LGBT*IQ-Teenagern teilnahm und sich spontan entschloss sich vor laufender Kamera als lesbische Frau zu outen.

„Was würde ich in diesem Video sagen, wenn ich wirklich ehrlich wäre“, hatte sie sich am Abend vorher selbst hinterfragt. „Ich hatte eine Botschaft zu überbringen, von der ich wusste, dass sie von Bedeutung ist.“

Ihre damalige Partnerin und auch sie selbst waren jedoch davon ausgegangen, dass das Outing das Ende ihrer Karriere bedeuten würde. Doch die Reaktionen auf ihre aufsehenerregende Offenheit waren das genaue Gegenteil. „Mein Leben wandelte sich zum Guten; von einem Moment zum anderen von schwarz/weiß zu bunt. Nach 52 Jahren.“
Doch nicht nur das. Ihre Offenherzigkeit änderte gleichzeitig auch die Art, wie in der Geschäftswelt über Diversity gedacht wird.
„Unsere Führungsebene war sehr stolz auf mich, ich bekam Anrufe und Emails von Jugendlichen und Eltern und bei einem der darauffolgenden öffentlichen Auftritte stehende Ovationen, die mich zu Tränen rührten.“

Mit ihrer spontanen Outing habe sie in diesem Moment mehr bewegt als jemals zuvor in ihrem Leben, erzählt Rolemodel Brooke-Marciniak. „Ich verstand es als meine Aufgabe und Verpflichtung. Wer sollte es tun, wenn nicht ich?“

Business Case – „Der Imperativ des Marktes“

Die besten Talente zu bekommen sei ein Aspekt der Business Case-Perspektive bei der Schaffung eines LGBT*IQ-wertschätzendes Arbeitsumfeldes, leitet Albert Kehrer den zweiten Schwerpunkt des diesjährigen Dinner-Gespräches ein und die EY-Chefin ergänzt: „Es geht um den Imperativ des Marktes. Wir müssen so divers wie unsere Kunden sein. Ob hinsichtlich der Funktionalität, der Qualität oder der Innovation – in der Gesamtsumme sind wir so überall besser.

„Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die sich auf den Stellenwert von LGBT*IQ fokussieren, auch in allen anderen Bereichen von Inklusion und Diversity, beispielsweise in der Frauenförderung, gut aufgestellt sind.“

Eine große Hürde sei jedoch die schwierige Messbarkeit der Effekte von Maßnahmen für die Belange von Lesben, Schwulen und transidenten Menschen im Unternehmen.
„Ich weiß“, antwortet Brooke-Marciniak darauf, „in den meisten Ländern ist es nicht möglich sich im Unternehmen als LGBT*IQ zu identifizieren.“ Deshalb sei es schwer die Wirkung von LGBT*IQ-akzeptierender Unternehmenspolitik zu bewerten. „Das macht aber nichts. Denn wir wissen, dass sie einen Mehrwert bedeutet.“
Wer allerdings darauf verzichte, weil der Wert nicht messbar sei, der suche nach Ausreden.

Auf die pointierte Frage ihres Gesprächspartners, ob LGBT*IQ-Belange im Unternehmen tatsächlich notwendigerweise so hohe Priorität genießen müssten, antwortet Brooke-Marciniak wiederum entschieden: „Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die sich auf den Stellenwert von LGBT*IQ fokussieren, auch in allen anderen Bereichen von Inklusion und Diversity, beispielsweise in der Frauenförderung, gut aufgestellt sind.“

Verbündete – „Die Welt verändern, Sicherheit geben“

Bei mittlerweile hereingebrochener Dunkelheit vor den Lichtern der Frankfurter Skyline eröffnet Kehrer das letzte Drittel des Kamingesprächs mit der Frage, warum es wichtig sei  als Unternehmen ein LBGT*IQ-Verbündeter zu sein. Immerhin unterstütze EY sowohl in Großbritannien als auch den USA diese Personengruppe im Unternehmen gezielt.

„Weil wir Werte haben“, gibt Brooke-Marciniak ohne zu zögern zurück. „Wir alle sind weltweit aktiv. Doch auf die Gesetze der einzelnen Länder haben wir keinen Einfluss. Viele davon laufen in die falsche Richtung, sind sogar rückwärtsgewandt und Populismus breitet sich aus. „Unsere Fußspuren können die Welt verändern.“

Auf Kehrers Frage wie der Einzelne sich im Unternehmen zum Verbündeten seiner LGBT*IQ-Kolleg_innen machen kann, zeigt das EY-Vorstandsmitglied Brooke-Marciniak eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten auf: Zum Beispiel neugierig sein und keine Angst davor haben. Denn es gehe nicht nur immer um die konkreten Anliegen der lesbisch-schwulen-trans*-Bevölkerung, sondern um grundlegendes Verständnis. „Eines Tages kann es auch dich berühren.“
Erst neulich habe sie in Davos am Rande des Weltwirtschaftsforums mit einem dankbaren CEO gesprochen, dessen Tochter sich unlängst  als homosexuell geoutet habe. Die vorherige Auseinandersetzung mit Thema habe ihm dabei sehr geholfen.

Und es gebe den „Wow, sogar auch der“-Effekt, wenn Persönlichkeiten aus der Unternehmensspitze sich öffentlich als Verbündete der LGBT*IQ-Menschen in ihren Unternehmen zu erkennen gäben und so für diese Mitarbeiter_innen eine bedeutende Sichtbarkeit ermöglichten, die weder für die Personalabteilung noch für die LGBT*IQ-Gruppen selbst in dieser Form erreichbar sei.

Wichtig sei auch, geouteten Beschäftigten Hilfsbereitschaft zu signalisieren, Zeit zu lassen aber bei Bedarf unterstützend zur Seite zu stehen. „Manche gehen nämlich lieber wieder zurück in ihr Versteck, wenn sie den Eindruck haben, dass sie ihrem Boss nicht vertrauen können und nicht wissen ob ihre Offenheit wirklich Sicherheit bedeutet.“

So komme es, dass 70 Prozent der ungeouteten Mitarbeiter_innen über kurz oder lang das Unternehmen verlassen würden. Deshalb sei es wichtig mit ihnen ins Gespräch zu kommen um zu erfahren, was noch zwischen ihnen und ihrem Outing steht. „Vor allem aber ist es wichtig die Gespräche mitzubekommen, die so heute nicht mehr stattfinden sollten und dagegen zu halten, denn das kriegen auch die noch ungeouteten mit“, so Beth Brooke-Marciniak am Ende des Gesprächs.

Video vom Fireplace-Chat mit Beth Brooke-Marciniak

Im Gespräch mit… Claudia Brind-Woody

The cost of thinking twice – Die Kosten vom Doppelt Denken

Claudia Brind-Woody ist IBM-Vice President and Managing Director Intellectual Property Licencing. Sie arbeitet seit 1996 für IBM, unter anderem in unterschiedlichen globalen Führungspositionen und ist weltweit eine anerkannte Rednerin. In ihren Vorträgen und Büchern (Out & Equal at Work: From Closet to Corner Office, 2013 sowie The Glass Closet: Why Coming Out is Good for Business, 2014) wirbt sie für einen offenen und wertschätzenden Umgang mit sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität am Arbeitsplatz. Außerdem steht sie beratend unterschiedlichen LGBT-Platt formen, Initiativen und Institutionen, darunter Workplace Pride, Stonewall Global Diversity Champions sowie Out & Equal Workplace Advocates, OUTstanding zur Verfügung. Lambda Legal und das John C. Stennis Institute of Government. Claudia Brind-Woody wurde mit dem Out & Equal Trailblazer Award ausgezeichnet, und zahlreiche internationale Magazine führen sie als weltweit herausragende Persönlichkeit auf dem LGBT-Sektor.

“If you want to create value for your business, then make sure that you both have and value diversity.”

Zusammenfassung


 

Claudia Brind-Woody, IBM-Vice President and Managing Director Intellectual Property, beschreibt IBM als Unternehmen, in dem jeder Mensch willkommen ist erfolgreich tätig zu sein. Maßgeblich für die Unternehmenskultur sei, dass sich Mitarbeiter_innen als eigenständige und wertvolle Persönlichkeiten wahrnehmen. Denn wenn diese sich respektiert und geachtet fühlten, seien sie nicht nur deutlich produktiver, sondern auch wesentlich positiver gegenüber ihrer Beschäftigung eingestellt, sagt Brind-Woody. Sie verweist auf die Statistiken zahlreicher Studien, die belegen, dass die Produktivität am Arbeitsplatz um 30 Prozent sinkt, sobald Mitarbeiter_innen wesentliche Teile ihrer Persönlichkeit verstecken und Angst haben müssen, am Arbeitsplatz geoutet zu sein.

 

Die Auseinandersetzung mit den Themengebieten Diversity und Inclusion hat bei IBM eine lange Historie, die sich bis in die 1920er-Jahre zurückverfolgen lässt, so Brind-Woody. Verschiedene Richtlinien und Verbesserungen innerhalb des Unternehmens sorgten seitdem für einen fairen und gleichgestellten Umgang mit allen Mitarbeiter_ innen. Das Unternehmen vereine so Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen mit unterschiedlichen Hintergründen und physischen Voraussetzungen – alt und jung, Schwarz und weiß, homo- und heterosexuell. Entscheidend für alle sei die Frage, ob diese Menschen wertgeschätzt werden. In diesem Anspruch begründet sich IBMs Ansatz zur Inclusion.

 

Claudia Brind-Woody weist darauf hin, dass es sehr schwer sei, Erfolge von LGBT*IQ-Richtlinien an konkreten Zahlen festzumachen. Wichtig sei allerdings die Tatsache, dass alle aktuellen Untersuchungen darauf hinweisen, dass Innovation durch Diversity entsteht, was ein wichtiger Punkt für IBM als Innovationsunternehmen darstelle. Die Arbeit und das Engagement von IBM sei deshalb so wichtig, weil es noch immer Regionen und Gesellschaften gibt, in denen es illegal ist, LGBT*IQ zu sein. IBM unterstützt seine Mitarbeiter_innen auch dort, damit diese sicher und möglichst unbefangen arbeiten können.

 

IBM vertritt bei seinem Engagement drei Grundwerte:

  1. Engagement für den Erfolg jedes Kunden.
  2. Innovationen, die etwas bedeuten – für unser Unternehmen und für die Welt.
  3. Vertrauen und persönliche Verantwortung in sämtlichen Beziehungen.

 

Das Engagement im Bereich D&I hat sich für IBM als ein attraktives Geschäftsmodel bewährt, weil es „die Kosten vom Doppelt Denken” („The cost of thinking twice“) deutlich senken kann. Als solche versteht Claudia Brind-Woody zusätzliche Kosten, die durch suboptimale Produktivität entstehen. IBM, argumentiert sie, wolle zusätzliche Personalkosten durch Mitarbeiter_innen vermeiden, die sich am Arbeitsplatz verstellen und ihre eigentliche Persönlichkeit aufwendig verleugnen müssen. Ebenso soll ein Arbeitsplatzklima, das personelle Vielfalt wertschätzt, das Unternehmen für junge Talente und Fachkräfte attraktiv machen. Sie nicht anzusprechen, würde eine vergebene Chance und damit weitere vermeidbare Kosten bedeuten. Insgesamt wolle IBM nicht dafür bezahlen, intolerant zu sein und über zu wenig Innovationskraft zu verfügen, um zu wachsen. Um erfolgreich Wertschöpfung für das eigene Business zu betreiben, schließt Brind-Woody, sei es daher wichtig, Diversity zu haben und diese wertzuschätzen.

Claudia Brind-Woody

„Auch LGBT*IQ müssen mutig sein. Es ist ihre Entscheidung. Wir müssen ihnen jedoch auch die positiven Effekte des Coming-Out aufzeigen, statt wie bisher nur Nachteile damit zu verbinden.“

Claudia Brind-Woody arbeitet seit 1996 für IBM, ist Vice President des Unternehmens und zugleich Geschäftsführerin des Global Intellectual Property Licensing. Damit ist sie eine der einflussreichsten homosexuellen Frauen in der internationalen Geschäftswelt und eine Schlüsselperson in zahlreichen LGBT*IQ-Organisationen. Mehr als 40 davon fördert das IT- und Beratungsunternehmen mittlerweile in 30 Ländern und trägt durch diese offene Haltung dazu bei, dass sich auch in anderen Unternehmen eine LGBT*IQ-wertschätzende Unternehmensphilosophie etabliert. In den vergangenen Jahren war Brind-Woody nicht nur Preisträgerin mehrerer Gleichberechtigungspreise sondern auch ständige Vertreterin in den internationalen Rankings der einflussreichsten lesbischen Persönlichkeiten. Damit lebt sie vor, was sie von anderen Unternehmenslenker_innen einfordert und zum Titel ihrer Keynote für das DINNER BEYOND BUSINESS gemacht hat: „Authentic Leadership“.

Wer Claudia Brind-Woody zuhört, wenn sie über die Notwendigkeit und die Chancen einer LGBT*IQ-wertschätzenden Unternehmensphilosophie spricht, kann sich wechselnder Gemütszustände nicht erwehren. Wissendes Schmunzeln lässt sie auf den Gesichtern ihres Publikums erscheinen, wenn sie als Vice President von IBM erzählt, wie man ihr in Japan jüngst berichtet habe, dass es unter den Mitarbeitern keine Schwulen oder Lesben gäbe und somit kein Handlungsbedarf bestünde.
Denn natürlich wissen die Unternehmensvorstände und Senior Executives, die an diesem Abend auf Einladung der PROUT AT WORK-Foundation im Turm der Deutschen Bank AG zum DINNER BEYOND BUSINESS zusammen gekommen sind, dass es nicht so ist. Dass es in jedem großen Unternehmen einen Talentpool von Mitarbeiter_innen mit LGBT*IQ-Background gibt, der noch viel zu oft unerschlossen brach liegt.

Deshalb gelingt es Brind-Woody in ihrer Keynote auch gleich darauf mehrheitlich betretenes Schweigen im Publikum zu erzeugen, indem sie die Frage stellt, wer denn überhaupt über eine Liste der LGBT*IQ-Top-Talente im eigenen Haus verfüge? Nur wenige.

Als sie die Frage erweitert, ob es im Unternehmen die Möglichkeit zur freiwilligen Selbstidentifikation als LGBT*IQ gibt, ist fast keine Hand mehr erhoben.
Brind-Woody bedauert das, räumt aber ein, dass in Deutschland der strikte Datenschutz eine solche Selbstidentifikation verhindere: „Wenn wir nicht wissen, wer unter unseren Angestellten einen LGBT*IQ-Hintergrund hat, wie sollen wir sie dann gezielt fördern?

Auch ein Dinner-Gast fragt, wie man denn Mentoring-Programme für LGBT*IQ-Mitarbeiter_innen auflegen solle, ohne dass damit ein Coming-Out verbunden sei.
Brind-Woodys Antwort darauf ist überraschend aber unmissverständlich: „Auch LGBT*IQ müssen mutig sein. Es ist ihre Entscheidung. Wir müssen ihnen jedoch auch die positiven Effekte des Coming-Out aufzeigen, statt wie bisher nur Nachteile damit zu verbinden.“

Authentisches Führen bedeute eben auch Teams in vielfältiger Zusammensetzung zusammenstellen zu können.
Eine Fußballmannschaft, die nur aus Stürmern besteht, wird nie ein Spiel gewinnen. Ohne den Torwart in seinen grellen Farben funktioniert es nicht“, zieht Brind-Woody die Parallele zwischen Business und Sport. „Auch im Geschäftsleben geht es schließlich ums Gewinnen.“

‚Walk the Talk‘ – den eigenen Worten Taten folgen lassen

Claudia Brind-Woody arbeitet seit 1996 für IBM, ist Vice President des Unternehmens und zugleich Geschäftsführerin des Global Intellectual Property Licensing. Damit ist sie eine der einflussreichsten homosexuellen Frauen in der internationalen Geschäftswelt und eine Schlüsselperson in zahlreichen LGBT*IQ-Organisationen. Mehr als 40 davon fördert das IT- und Beratungsunternehmen mittlerweile in 30 Ländern und trägt durch diese offene Haltung dazu bei, dass sich auch in anderen Unternehmen eine LGBT*IQ-wertschätzende Unternehmensphilosophie etabliert.

„Was hilft es, wenn wir hier oben in der Unternehmensspitze tolle Strategiepapiere zu Diversity haben, aber gleichzeitig ein homophober Manager auf der mittleren Leitungsebene der beruflichen Laufbahn und damit dem Leben vieler unserer Talente mit LGBT*IQ-Background im Wege steht?“

In den vergangenen Jahren war Brind-Woody nicht nur Preisträgerin mehrerer Gleichberechtigungspreise sondern auch ständige Vertreterin in den internationalen Rankings der einflussreichsten lesbischen Persönlichkeiten. Damit lebt sie vor, was sie von anderen Unternehmenslenker_innen einfordert und zum Titel ihrer Keynote für das DINNER BEYOND BUSINESS gemacht hat: „Authentic Leadership“.
Darunter versteht sie den Auftrag die eigene Führungsrolle durch authentische Beziehungen zu den Mitarbeiter_innen zu legitimieren.
Kann ich als Vorgesetze_r die Worte ‚lesbisch‘ oder ‚transgender‘ so benutzen, so dass mein Gegenüber den Eindruck hat, dass es kein Problem ist, so zu sein?“

Das setze einen Führungsstil mit dem Herzen voraus, ohne Angst sich dadurch verwundbar zu machen. Aber auch, den eigenen Worten Taten folgen zu lassen. Wer sage, Vielfalt im Arbeitsumfeld sei wichtig, müsse auch etwas dafür tun.
Was hilft es, wenn wir hier oben in der Unternehmensspitze tolle Strategiepapiere zu Diversity haben, aber gleichzeitig ein homophober Manager auf der mittleren Leitungsebene der beruflichen Laufbahn und damit dem Leben vieler unserer Talente mit LGBT*IQ-Background im Wege steht?“

Betroffene Stille füllt den Saal im 35. Stock als Brind-Woody den Führungskräften im Publikum erklärt, weshalb auch heute noch viele LGBT*IQ ein Coming-Out im Beruf vermeiden. Sie erzählt von der steigender Zahl lesbischer, schwuler oder trans* Kinder und Jugendlicher in den USA, die von ihren Eltern aus dem Haus geworfen und in die Obdachlosigkeit getrieben würden. Von der ebenfalls steigenden Selbstmordrate unter diesen Teenagern.
Als muslimisches, jüdisches oder dunkelhäutiges Kind wird man möglicherweise auch auf dem Schulhof gemobbt. Aber man kommt nach Hause und findet bei seiner Familie Verständnis und Unterstützung, denn die Eltern sind selbst muslimisch, jüdisch oder dunkelhäutig. Bei lesbischen, schwulen, transidenten oder genderqueeren Kindern sind es die Eltern aber meistens nicht.“

Übertragen auf den Anspruch authentischer Menschenführung bedeute dies, zu lernen auch Mitarbeiter_innen motivieren und fördern zu können, die anders seien als man selbst.
Viele, auch sie selbst, seien bei benachteiligenden Entscheidungen oder verletzender Wortwahl in der Vergangenheit zu oft still gewesen. „Aber Schweigen ist kein Führungsstil“, bringt es Brind-Woody auf den Punkt.

Am Ende ihrer Keynote ruft sie dazu auf, als Führungskraft wagemutiger und selbstbewusster zu sein, auch wenn das bedeute gelegentlich gegen den Strom schwimmen zu müssen.
Natürlich ist es ist wunderbar erfolgreich zu sein. Aber noch stärker ist es Bedeutsames zu tun.“

Auch in diesem Jahr waren wieder fast 30 Vorstände und Senior Executives von Lufthansa, Vodafone, IBM, Commerzbank, Deutsche Bank, Fraport, Europäischer Zentralbank, Randstad Deutschland, Accenture, White & Case, Sandoz, Oliver, Wyman, Linklaters, Bayer, Procter & Gamble, Hogan Lovells Merck, der Mainzer Verkehrsgesellschaft, KPMG und Google der Einladung der PROUT AT WORK-Foundation gefolgt, um beim Dinner in lockerer Atmosphäre die Vorteile vielfältiger und chancengleicher Mitarbeiter_innenführung zu diskutieren.

Video der Rede von Claudia Brind-Woody:

John Browne

Noch seien Coming-Outs in der Wirtschaft – gerade unter Führungskräften – selten […]. Es fehle an Vorbildern, die zeigen, wer sie sind.

Wo der frühere Chef von BP und heutige Executive Chairman der Ölinvestfirma L1 Energie, John Browne (68), auftritt, wird es emotional – ein seltener Umstand in der Welt der Wirtschaft. In seiner Keynote an die teilnehmenden Führungskräfte erzählte der gebürtige Hamburger Browne aus seinem Leben und von seinem jahrzehntelangen Verstecken. Seine Mutter, eine Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz, hatte ihm in jungen Jahren eingeschärft, dass es gefährlich sei, jemandem ein Geheimnis zu erzählen und ein identifizierbarer Teil einer Minderheit zu sein. An diesen Rat hielt sich Browne bis zu seinem Zwangs-Outing im Jahr 2007. In seinen 41 Jahren bei BP – davon 13 Jahre als Chief Executive –, in der er den Energiekonzern zu einer der größten Firmen weltweit entwickelte, habe er die ganze Zeit ein Doppelleben geführt: eines für die Öffentlichkeit und ein privates als homosexueller Mann. Seine wahre Identität zu verheimlichen, habe von ihm ständige Wachsamkeit verlangt, berichtete Lord Browne. Heute findet er, dass es keine gute Idee sei, seine Identität zu verstecken. Das koste Menschen viel Energie und Kreativität, die in der Arbeitswelt letztlich den Unternehmen verloren gingen.

Eine Studie für sein Buch „The Glass  Closet: Why Coming Out is Good Business“ habe herausgefunden, dass der Wert von Unternehmen mit authentisch und offen lebenden Vorständen deutlich höher liege als bei Unternehmen mit Vorständen, die traditionell-konservative Ansichten vertreten. Wirtschaft und Gesellschaft profitierten also nachweislich von toleranten Unternehmenskulturen, sagte Brown in seiner emotionalen Keynote. An die anwesenden DAX-Vorstandsmitglieder und Top-Führungskräfte richtete er deshalb den Appell: Die Logik von Unternehmen sei, Menschen zusammen zu bringen. Deshalb sei es nur folgerichtig und wichtig, dass sich Weltkonzerne und große Unternehmen als Vorkämpfer zu Diversity und Inclusion bekennen, sie offen kommunizierten und immer wieder selbst auf die Tagesordnung setzten, um so ein angstfreies Arbeitsumfeld zu schaffen. Noch seien Coming-Outs in der Wirtschaft – gerade unter Führungskräften – selten, konstatierte der charismatische Browne. Es fehle an Vorbildern, die zeigen, wer sie sind.

In die Runde fragte Browne, wie viel offen schwul lebende Vorstände es denn in den Konzernen des S&P 500 Index gebe? Nur einen, und das sei Tim Cook, der CEO von Apple.

Als eine der erfolgreichsten Manager der Welt hat sich John Browne seit seinem Zwangs-Outing durch einen früheren Freund bewusst entschieden, ein Vorbild zu sein, ein „Role-Model“, um andere zu ermutigen, zu sich selbst zu stehen und ihren eigenen Weg zu gehen.

Er wolle das Richtige tun, erklärte Brown sein Engagement. Deshalb schreibe er Bücher und sei in der Öffentlichkeit aktiv. Aus eigener Erfahrung wisse er nur zu gut: Die Wirtschaft ist ein „spezieller Ort“ und sehr konservativ. Veränderungen bräuchten hier Zeit und beharrlichen Druck.

In Deutschland hat sich bisher nur ein Konzern-Vorstandschef als schwul lebend geoutet: Niek Jan van Damme von der Deutschen Telekom.

„This was my first prout-at-work event I was encouraged to join, because I was really interested to hear Lord Browne. He is really interesting as a person and a very credible person to speak about inclusion in corporate environment. He gave us lessons which I hope we could take home to our own companies.“

Die extra zum DINNER BEYOND BUSINESS nach Hamburg gereisten Vorstandsmitglieder waren bewegt von dem, was John Browne erzählte. Robin J. Stalker, Finanzvorstand bei Adidas, erinnerte sich an seine erste Begegnung mit der LGBT*IQ-Bewegung, und dass er erst eine Weile über ihr Anliegen nachdenken musste, sich heute aber absolut damit identifiziere. „This was my first prout-at-work event I was encouraged to join, because I was really interested to hear Lord Browne. He is really interesting as a person and a very credible person to speak about inclusion in corporate environment. He gave us lessons which I hope we could take home to our own companies.“

An die halbstündige Rede von Lord Browne schloss sich ein vorzügliches Essen an, das bis in den späten Abend dauerte und währenddessen sich interessante Gespräche und neue Kontakte entwickelten.

Janina Kugel, Arbeitsdirektorin der Siemens AG, würde beim nächsten DINNER BEYOND BUSINESS gern wieder mit dabei sein: „Ich habe eine sehr aufgeschlossene Gruppe von unterschiedlichen Unternehmensvertreter_innen getroffen, die sagen, das Thema ist wichtig, wir wollen es vorantreiben, damit Diversity auch in Deutschland publik wird. Denn, wenn wir es genau überlegen, haben wir hier Nachholbedarf Leute zu finden, die sagen, ja ich gehöre der LGBT-Community an, ich stehe dazu, ich bin der oder die, die ich bin, und verstecke mich nicht.“

Norbert Janzen, als Arbeitsdirektor Mitglied der Geschäftsführung bei IBM, ist ebenfalls von der Idee des Abends begeistert: „Ich habe eine große Affinität zur Offenheit und liebe den Austausch zwischen Firmen, weil ich glaube, wir können sehr viel voneinander lernen. Und die Plattform, die hier geboten wurde, ist phänomenal. Das zu verbinden mit einem After-Work Dinner und mit einem so inspirierenden Gast ist hervorragend. Ich werde eine Menge mitnehmen und in die Firma zurücktragen.“

Die Veranstaltung mit Lord John Browne in Hamburg ist der Auftakt zu der Reihe DINNER BEYOND BUSINESS. Dabei trifft sich in lockerer Atmosphäre und bei einem erstklassigen Menü ein ausgewählter Kreis von Vorstandsmitgliedern mit den Vorständen und Stiftern von PROUT AT WORK. Die Keynote von namhaften Referenten schafft jeweils den Rahmen für Inspiration und den Austausch über neue Perspektiven der Unternehmenskultur. Die Treffen sind in unregelmäßigen Abständen geplant.

Der Einladung von PROUT AT WORK zum ersten DINNER BEYOND BUSINESS waren Vorstände und Executives von Adidas, Allianz, Bayer, Commerzbank, Covestro, DEA, Deutsche Bank, Deutsche Börse, Dow, EY, GE, IBM, Latham&Watkin, Merck, Pfizer, PwC , Sandoz, Siemens, Sodexo und White&Case gefolgt.

Video der Rede von Lord Browne: