Kampagne: #BiVisible
zum diesjährigen Bi+ Visibility Day

Das Ziel der Kampagne ist, bisexuelle Menschen zu stärken und gemeinsam durch eine große Anzahl an Teilnehmer_innen Sichtbarkeit zu schaffen sowie die Vielfalt bisexueller Personen zu verdeutlichen.

Als bisexuell verstehen wir alle Menschen, die romantische und/oder sexuelle Beziehungen nicht ausschließlich zu Menschen eines bestimmten Geschlechts führen.

Die Kampagne wurde gemeinsam von der PROUT AT WORK-Foundation und Accenture initiiert.

#BiVisible – Bi+ Visibility Day 2022

Der Bi+ Visibility Day wird seit 1999 jährlich am 23. September gefeiert um auf die komplexen Lebenswirklichkeiten bisexueller Menschen aufmerksam zu machen. Im Rahmen dieses Tages haben wir bisexuelle Personen gefragt, wie sie (ihre eigene) Bisexualität erleben und was sie sich im Bezug darauf wünschen. Ihre Antworten haben wir hier für Sie zusammengetragen:

Sarah Schiller (sie / ihr), Head of Trial Molds Replacement – R&D Tires, Continental

Wie erlebst Du das Thema Bisexualität auf der Arbeit aktuell?

In der Ingenieurswelt erlebe ich vorallem heterosexuelle Männer, die zwar irgendwann homoerotische Erfahrungen gemacht haben, sich aber von bi+ oder homo+ distanzieren. Bi+ passt anscheinend nicht so recht in die Vorstellungswelt der Kolleg*innen. Bi+ wird hier auch oft mit Promiskuität oder mangelnder Entscheidungskraft in Verbindung gebracht.

Wie möchtest Du als bisexueller Mensch gesehen werden?

Zuschreibungen, die auf Vorurteilen basieren, empfinde ich als ungerecht. So bin ich zum Beispiel aus eigener Entscheidung monogam, habe also „trotz“ bi+ normalerweise eine Beziehung zu genau einer Person. Da möchte ich keine Wertung poly/mono verstanden wissen; alle sollen nach ihrer Facon glücklich werden. Mir ist vor allem wichtig, dass ich gesehen werde, wie ich bin.

Wie kann das Thema auf der Arbeit vorangetrieben werden?

Awareness ist hier wie für die meisten LGBTQIA Themen der Schlüssel, um mit Vorurteilen aufzuräumen, und um unreflektierte Verletzungen in Zukunft zu vermeiden. Deswegen sind Visibility Kampagnen wie der Bi+ Visibility Day so wichtig!

Wie erlebst Du das Thema Bisexualität auf der Arbeit aktuell?

Ich bin Solo Mutter und bisexuell. Ich werde erstmal nicht als bisexuell oder als Teil der LGBT* Community wahrgenommen, da ich ein Kind aus einer Beziehung mit einem Mann habe. Wenn ich Kollegen erzähle, dass ich aktiv in der LGBT* Community der Firma bin, sind sie erstmal verwirrt. Wenn ich mich dann als bisexuell oute, sind die Reaktionen aber bisher meist neutral. Ich habe allerdings auch schon erlebt, dass eine lesbische Kollegin im Rahmen eines LGBT Treffens der Firma das Interesse in dem Austausch mit mir plötzlich sehr offensichtlich verlor, als ich ihr sagte, ich bin bisexuell. Dass selbst die LGBT* Community bisexuelle Leute nicht ernst nimmt ist leider oft Realität. Ich habe auch schon Sprüche gehört wie „als du lesbisch warst“ oder „als du in dem anderen Team gespielt hast“ und so fühlt man sich als bisexueller Mensch nicht verstanden. Auch wenn die Reaktionen neutral sind, bin ich mir also nicht sicher, was die Kollegen darüber denken und was für Vorurteile sie haben. Mir ist aber wichtig, mich outen zu können, denn meine Bisexualität macht viel von meiner Geschichte und von mir selbst aus.

Wie möchtest Du als bisexueller Mensch gesehen werden?

Ich verliebe mich in einen Menschen. Unabhängig von dem Geschlecht. Bisexualität ist für mich keine Phase, ich bin nicht verwirrt, ich weiß ganz genau was ich für mich in einer Beziehung wünsche. Der Weg dorthin war dennoch nicht einfach für mich, denn ich dachte selbst lange Zeit, ich muss mich „für eine Seite“ entscheiden und outete mich als lesbisch. Irgendwann musste ich mich nochmal outen, diesmal als bisexuell, als ich verstand dass ich mich auch in Männer verlieben kann und das ok ist. Meine nicht-binäre sexuelle Orientierung wurde lang nicht aufgenommen. Das macht einfach meine Geschichte und meine Erfahrungen aus.

Wie kann das Thema auf der Arbeit vorangetrieben werden?

Dem Thema Bisexualität Raum geben, wenn man in der Firma über die LGBT* Community spricht (Vorträge, Diversity & Inclusion).

Rafaella Fabris (sie / ihr), Quality Manager, Infineon Technologies
Frank thies (er/ihm), Verbeamteter lehrer, diversitätsbeauftragter

Wie erlebst Du das Thema Bisexualität auf der Arbeit aktuell?

Ich bin an meiner Schule nicht nur Lehrer, der sich schon seit Langem für Vielfalt einsetzt, sondern auch Diversitätsbeauftragter, der berät und einige Projekte in Gang bringt. Ich bin als bisexuell geoutet. Kolleg*innen haben mich auf Zeitungsinterviews angesprochen und gratuliert. Sie finden das gut. Mittlerweile erlebe ich auch, dass sich immer mehr Schüler*innen outen – vor allem als bisexuell, non-binary oder trans*. Schwule und bisexuelle Jungs sind da aber eher zurückhaltend. Wir hissen zum 23.9. auch die Bi-Flagge an der Schule.

Wie möchtest Du als bisexueller Mensch gesehen werden?

Grundsätzlich ist natürlich meine Bisexualität nur eine Eigenschaft unter vielen bei mir. Ich bin auch noch kreativ, zuverlässig, empathisch, oft ungeduldig, albern, liebe Brett- und Kartenspiele, Fantasy, Schreiben und Yoga. Aber Sichtbarkeit spielt schon eine Riesenrolle für Bi+sexuelle, weil sie eben immer wieder übersehen oder sogar aktiv unsichtbar gemacht werden. Ich finde, Bisexualität ist eine Bereicherung, deswegen möchte ich, dass das als eine schöne Seite gesehen wird.

Wie kann das Thema auf der Arbeit vorangetrieben werden?

Durch Vielfalts- und Diversity-AGs, durch Bi-Flaggenhissungen, durch eine Selbstverständlichkeit, dass Menschen sich in Menschen verlieben können, und das kann auch abwechselnd verschiedene Geschlechter sein. Und es können auch mehrere Menschen gleichzeitig sein. Durch Unterstützen des Bi+Prides. Teilnahme bei #TeachOut (falls man etwas mit Bildung zu tun hat). Ein eigenes Coming-out macht anderen Mut, daher wenn man einen guten Stand auf der Arbeit ist, beliebt ist und/oder mutig – worauf wartest Du? Wenn nicht für Dich – dann für andere!

PANELGEsPRÄCH ZUM BI+ VISIBILITY DAY

Neben der Bi+ Hashtag Kampagne wird am 23. September ebenfalls eine Paneldiskussion stattfinden. Bei dieser sprechen wir mit bi_sexuellen Personen über die (Un)Sichtbarkeit von Bisexualität in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz, Biases und was jede_r einzelne machen kann, um zu einem besseren, offeneren Umfeld für Bi+ Menschen beizutragen. #WeAreFamily

Die Paneldiskussion ist für alle Interessierte kostenlos und findet von 17:00 bis 18:30 Uhr statt.

Tipps für Bisexuelle Personen

Ein bisexuelles Coming Out kann auch heute immer noch mit Schwierigkeiten und Diskriminierungserfahrungen verbunden sein. Wenn es Ihnen hilft,

  • Suche Dir Verbündete / Role Models im Unternehmen.
  • Vernetze Dich mit dem LGBT*IQ-Netzwerk.
  • Such Dir Unterstützung im Umgang mit unpassenden Kommentaren oder diskriminierendem Verhalten.
  • Denk immer daran: Du bestimmst den Zeitpunkt und die Art Deines Coming Outs.

Tipps Für Unternehmen

  • Für Unconscious Bias sensibilisieren
  • Klare Anforderungsprofile schaffen
  • Einstellungsverfahren anonymisieren
  • Aufbau / Stärkung des internen LGBT*IQ-Netzwerks

TIpps für Allies

  • Informiert Euch über bisexuelle Themen.
  • Nutzt eine genderinklusive Sprache.
  • Fetischisiert keine bisexuellen Beziehungen.
  • Setzt Euch für die Rechte und gegen die Diskriminierung von bisexuellen Personen ein. Unterstützt beispielsweise die Aktion nodoption, die sich gegen die Stiefkindadoption bei Regenbogenfamilien und für die Anerkennung der Elternschaft einsetzt.

Mehr über Bisexualität und den Bi+ Visibility Day

Bi+Pride
Bi Berlin
Queer Lexikon

Beratungsstellen

LIBS – Lesben Informations- und Beratungsstelle e.V.

LIBS e.V. ist psychosoziale Beratungsstelle und gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, den Ursachen und Folgen gesellschaftlicher Diskriminierung von lesbischen und bisexuellen Mädchen und Frauen entgegenzuwirken – sei es aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung.

Regenbogenfamilien München

Die Fach- und Beratungsstelle Regenbogenfamilien setzt sich dafür ein, gesellschaftliche Bedingungen, die Regenbogenfamilien aller Farben benachteiligt, totschweigt oder unsichtbar hält, zu verändern und zu verbessern.

Rosa Strippe

Der gemeinnützige Verein Rosa Strippe befasst sich mit den individuellen und gesellschaftlichen Problemen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* Personen und intersexuellen Menschen und leistet ihnen Hilfestellungen zur Lösung ihrer Probleme.

Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme!

Bei weiteren Fragen stehen wir Ihnen in unserer Geschäftsstelle zur Verfügung.

BUNDESFREIWILLIGENDIENST BEI PROUT AT WORK

„Sichtbarkeit am Arbeitsplatz für jegliche Personen der LGBT*IQ Community zu schaffen und diese zu unterstützen, war mir besonders wichtig während meiner Zeit bei PROUT AT WORK.“

Ich startete meinen jetzigen Bundesfreiwilligendienst im August 2021, während ich auf der Suche nach meinem weiteren Weg in der Berufswelt war.

Mir war es wichtig, in dieser Phase der Selbstfindung einen Zweck zu unterstützen, hinter dem ich zu 100% stehe und in dem ich Leidenschaft sehe. Das habe ich bei PROUT AT WORK gefunden.

Warum LGBT*IQ?

In meinem bisherigen Alltag hörte ich immer wieder von LGBT*IQ-Personen, trotzdem wurde es nie konkret im Unterricht behandelt oder war allgemein Thema in der Schulklasse. Eher im Gegenteil: Oft genug hörte ich von Mitschüler_innen Wörter wie „schwul“ oder „Lesbe“ als Beleidigung. Meist ohne das Wissen, welche Auswirkung solche negativen Aussagen auf die entsprechenden Personen haben. Ich erweiterte selbst meinen Horizont, indem ich im Internet auf diversen Seiten queere Beiträge las, mit Personen der Community Kontakt aufnahm und mich intensiv mit meiner eigenen Sexualität auseinandersetzte.

Diese Auseinandersetzung führte dazu, Sichtbarkeit für Personen und Themen der LGBT*IQ Community zu schaffen, da diese oftmals in Vergessenheit geraten. Seitdem ich offen mit meiner eigenen Sexualität umgehe, hatte ich glücklicherweise überwiegend positive Erfahrungen, dennoch ist das leider immer noch nicht die Norm. Sowohl im Alltag als auch am Arbeitsplatz sollte man die Möglichkeit haben komplett „Ich“ zu sein, ohne Angst vor Diskriminierung und Chancenungleichheit.

Inwiefern bereichert mich der Bundesfreiwilligendienst bei PROUT AT WORK?

Die Arbeit im Team ist jeden Tag aufs Neue spannend und der Arbeitsalltag macht dadurch umso mehr Spaß. Direkt an meinem ersten Tag wurde ich warmherzig in das PROUT AT WORK-Team aufgenommen und hatte die Möglichkeit viele meiner Kolleg_innen bei der Arbeit zu begleiten. Dabei wurde ich in den Bereich Social Media eingearbeitet und durfte mich sowohl visuell als auch schriftlich kreativ ausleben. Durch die Arbeit mit den Social-Media-Kanälen habe ich mein Interesse an sozialen Medien entdeckt und es war einer meiner liebsten Aufgaben bei der Arbeit. Außerdem erhielt ich viele Einblicke im Bereich der Eventorganisation durch die LGBT*IQ-Awards, TOGATHERINGs sowie die PROUT AT WORK-Konferenz. Dabei lernte ich viel über den Kontakt mit Netzwerken und Speaker_innen und das Bewerben dieser Veranstaltungen. Zusätzlich hatte ich die Chance bei den PROUT PERFOMER-Listen 2022 zu unterstützen und erweiterte mein Wissen rund um LGBT*IQ-Themen während den zahlreichen Lunch Talks mit den Listenplatzierten.

Im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes hatten wir auch die Möglichkeit eigene Projekte als kleines Team zu verwirklichen. Dabei entstand das Projekt MyStory, ein Format, mit dem inspirierende Geschichten von LGBT*IQ-Personen veröffentlicht werden. Außerdem arbeiteten wir an einem Kartenspiel mit Fragen zum Nachdenken und Austauschen rund um das Thema LGBT*IQ Diversity. Darüber hinaus erarbeiteten wir zusammen die wöchentlichen Empfehlungen aus diversen Medien auf allen Social-Media-Kanälen um die Repräsentation des LGBT*IQ-Regenbogens in Ton, Schrift und Film sichtbar zu machen.

Mein Fazit:

Während meines Bundesfreiwilligendienstes bei PROUT AT WORK habe ich viele Erfahrungen gesammelt und bin dankbar für die Chance, mehr über die verschiedene Bereiche des LGBT*IQ Spektrums und der Arbeitswelt kennengelernt zu haben. Dabei lernte ich zusätzlich aus mir selbst herauszukommen, mein Selbstbewusstsein zu steigern und wie wichtig ein entspanntes Team und flache Hierarchien für mich sind. Es hat riesigen Spaß gemacht, in verschiedenen Arbeitsbereichen wie dem Social Media-und Veranstaltungsmanagement Erfahrungen zu sammeln und sich dabei für LGBT*IQ-Chancengleichheit am Arbeitsplatz einzusetzen.

Nachdem Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, vergangenes Jahr den PRIDE DAY GERMANY mit einer Videobotschaft unterstützte, freuen wir uns sehr, dass er in diesem Jahr die Schirmherrschaft für den unternehmensübergreifenden Aktionstag übernimmt!

Wir freuen uns riesig, auch dieses Jahr zum PRIDE DAY GERMANY 2022 eine Videobotschaft des Bundesministers teilen zu dürfen.

MYSTORY mit …

Bakry
42 Jahre, Berlin

„Jede erlebte Diskriminierung in einem
bestimmten Kulturkreis ermöglichte es meinem
Verstand, mich gegen Unterdrückungen und
Mikroaggressionen anderer sozialen Gruppen zu wappnen. …“

Veröffentlicht: Juni 2022

Verwobene Identitäten.

Ich bin Mischling, Cis-Mann, mittleren Alters, homosexuell, ohne bisher festgestellte Behinderung, Franzose, kein deutscher Muttersprachler (der akzent- und fehlerfrei Deutsch spricht), aus dem Proletariat kommend, der einen Bildungsaufstieg erlebt hat. Ich bin das alles und sogar noch viel mehr.

Das Coming Out ist mir fremd, würde ich sagen. Als ich ungefähr 18 war, arbeitete ich für das Hotel Central, eines der ersten gay Etablissements aus den 80ern in Paris. Nach meiner ersten Schicht erzählte ich meiner Mutter meine ersten Eindrücke über diesen LGBT*IQ-Ort. Sie fragte mich, ob alle meine Kollegen gay seien. Meine Antwort lautete ja. Anschließend fragte sie mich, ob ich selbst schwul sei. Meine Antwort lautete ja. Das war es, meine bedeutungslose kräftige Aussage über meine sexuelle Identität. Alles in allem war es eine paradoxale insignifikante Erfahrung für einen Gay- PoC aus einem proletarischen Migrantenviertel, Ende der 90er. Ich hatte nie das Bedürfnis oder den Zwang, mich zu erklären. Ich war „openly gay“ wie einen Cis-heterosexueller Mann „openly straight“ sein könnte: ereignislos. Einige Monate später, als ich zu meinem ersten Freund umzog, kam regelmäßig mein jüngster Bruder zu Besuch, um mit meinem Freund Videogames zu spielen. Das Leben eben.

Hingegen habe ich mehrmals intersektionale Queer Awakenings erlebt, die ich im Nachhinein begriffen habe. Nach der Lektüre von „Die Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon ist mir bewusst geworden, dass mein Ich-Schwul-Sein eine Rolle in meinem Bestreben, etwas anderes zu werden als das, wozu mich der Determinismus der sozialen Reproduktion trieb, gespielt hat. Tatsächlich fühlte ich mich hingezogen, andere Sphären zu betreten, um meinesgleichen zu begegnen.

Ich verspürte die Notwendigkeit, die widersprüchliche Vielfalt meiner verwobenen Identitäten zu verstehen und sie miteinander in Einklang zu bringen. Das war sinnlos.

Damals, weder in der Gay-Szene noch in anderen subkulturellen Räumen, konnte ich ein Gefühl von kompletter Zugehörigkeit spüren. Egal in welchen sozialen Gruppen ich mich befand, tauchten ausnahmenlos Unterdrückungsmechanismen auf. Es gab kein meinesgleichen, sondern das ewige Ballett von Zuschreibungen und Selbstbestimmungen. Immer wieder beobachtete ich, wie sich die sozialen Interaktionen in binären sozialen Gegensätzen neu definieren ließen. Allerdings: Jede erlebte Diskriminierung in einem bestimmten Kulturkreis ermöglichte es meinem Verstand, mich gegen Unterdrückungen und Mikroaggressionen anderer sozialen Gruppen zu wappnen.

Nehmen wir das Beispiel der Sprache, die über ihre kommunikative Funktion hinaus auch ein strukturierendes Element der Kultur ist. In der Tat kann sie ein Instrument der Stigmatisierung oder eine Zuweisung für soziales Prestiges sein. So half mir die Verve der jugendlich ätzenden Gossensprache der multikulturellen urbanen Welt meines Quartiers, Barbès, sowohl die (un)bewusst rassistisch geprägten Sprüche als auch die ironisch ausgrenzende Schlagfertigkeit der dominierenden weißen Männer der Queer-Community abzuwehren. So half mir der schamlose schwarze Humor der Queer-Szene, mich von meiner Scham über meine proletarische Sprache zu befreien. So half mir die schamlose Kühnheit der Sprache meiner Klasse, fremde Sprachen schamlos mit Akzent und Fehlern zu sprechen. Alle diesen Facetten meiner Identität unterstützen mich bei der Navigation in einer Gesellschaft, deren Normen und Abweichungen ständig verhandelt werden. Man könnte diese Anpassungsfähigkeit als Verstellung wahrnehmen, aber ich würde es als soziale Performativität der Vielfältigkeit eines Individuums bezeichnen.

Mittlerweile war meine PoC-Queer-Identität ein Vorteil bei meiner D&I-Beratungsarbeit mit der Agentur Ozecla in Frankreich, um Unterdrückungsmechanismen und die verzerrenden Filter der Menschen zu dekonstruieren.

Es kam häufig vor, dass in weißen feministischen Milieus die Wechselhaftigkeit der sozialen asymmetrischen Dynamiken in Bezug auf die Verteilung der Machtverhältnisse aufzuklären war. Insofern, als das weiße Frauen darauf hinzuweisen waren, dass sie gegenüber einem Queer schwarzen Mann aufgrund ihrer dominierenden weißen heteronormativen-cisgender Identitäten Unterdrückungsformen ausüben könnten.

Es erfordert viel Resilienz von mir, die Abwehrmechanismen einer unterdrückten Gruppe zu ertragen, wenn ich sie über ihre eigenen Unterdrückungsmechanismen aufkläre. Dieses Phänomen begegnet mir immer wieder in den letzten Jahren auch in Deutschland – sowohl bei meiner D&I-Arbeit in der Queer-Community als auch während meines Engagements in meiner Hauptbeschäftigung. Es ist eine belastende Herausforderung, die gesellschaftlichen Mechanismen von Rassismus, Queer-Feindlichkeit und Sexismus aufzudecken und zu denunzieren. Aber als schwarzer Queer-Mann mit intersektionalen Ansichten kann ich nicht anders.

Lieber Bakry, vielen Dank für YourStory!
MYSTORY mit …

Albert
51 Jahre, München

„Ich gehe jeden Tag in die Arbeit und
kann sagen „I am what I am“! …

Veröffentlicht: Mai 2022

Die Wanderung.

Ich erinnere mich noch gut an meine Schulzeit. Ich wuchs in einem sehr katholischen Umfeld auf. Katholische Klosterschule. Frühe 80er Jahre. In der 7. und 8. Klasse, die Pubertät in vollem Gange. Gleichzeitig war HIV/Aids ganz groß in den Schlagzeilen. Alles, was man damals wusste, war, dass man daran stirbt. Und so wurde ich geprägt – es gab ein Richtig und ein Falsch. Schwul = AIDS = falsch.

Erst viel später hat sich bei mir herauskristallisiert, dass ich schwul bin. Mein Coming Out hatte ich erst während meines Studiums. Nach dem Vorstudium ging ich für einen Masterstudiengang nach Wales. Welch gute Gelegenheit, auch meine sexuelle Orientierung zu entdecken. In diesem Findungsprozess musste ich gleich erleben, wie ein junger Schwuler durch den Ort gehetzt wurde. Schon wieder wurde in mir eingebrannt: schwul = falsch.

Aber, ich habe mich getraut. In London dann, nach meinem Studium, erlebte ich eine weltoffene Stadt, mit schwulen Bars, die Schaufensterscheiben hatten. Jeder konnte reinsehen. Was für ein befreiendes Gefühl. Zurück in meiner Heimatstadt Augsburg erlebte ich dann eine komplett andere Szene: Ich musste klingeln, um eingelassen zu werden. Die Fenster waren verklebt, damit uns keiner sieht.

Aber ich ließ mich jetzt nicht mehr unterkriegen, denn ich kannte ja London. Nahm am allerersten CSD in Augsburg teil und fühlte mich neben 20 anderen Personen superstolz.

Mein Berufsleben begann mit den üblichen „cost of thinking twice“. Damals war mir das noch nicht bewusst, denn meine gelernte Formel war ja „schwul = falsch“, also warum davon in der Arbeit erzählen. Ich war halt mit einem Freund oder mit Freunden unterwegs, mehr privates gab es von mir nicht. Bis mir ein Freund auf einer Wanderung mit dem Gay Outdoor Club erzählte, dass er bei BCG komplett out ist, dass sie ein Netzwerk haben und Dinge bewegen. Und natürlich kannte er einen Schwulen bei IBM, meinem damaligen Arbeitgeber. Er schrieb ihm direkt, dass da ein Kollege bei IBM ist, der ein Netzwerk unterstützen würde. Es dauerte keine 48 Stunden, bis seine Mail von dem Schwulen in Miami an einen Schwulen in London weitergeleitet wurde und der, Ken war sein Name, mich anrief.

Bis heute kennt Ken nur Regenbogenbunt, zurückstecken für die Community gibt es für ihn nicht. Seine erste Frage war: „Are you out? If yes, I can make you attend the next LGBT leadership conference at IBM New York next week.” Natürlich war ich nicht geoutet, und somit der Trip nach New York passé. Aber innerhalb der nächsten Woche outete ich mich gegenüber meinem Chef und meine Reise zum Thema LGBT*IQ am Arbeitsplatz begann. Ich gründete das LGBT*IQ-Netzwerk bei der IBM Deutschland, engagierte mich zu dem Thema auf europäischer Ebene innerhalb der Firma und bekam die erste Stelle in Europe im Vertrieb der IBM als sogenannter „GLBT Business Development Executive“.

Ich habe mir in all der Zeit hin und wieder richtig dumme Sprüche anhören müssen, manche davon machten mich sprachlos, aber echte Diskriminierungen habe ich nie erlebt. Die Unterstützung, die ich von den Out Executives bei IBM erlebt habe, haben in mir ein Selbstbewusstsein aufgebaut, sodass ich das Thema heute angstfrei vertrete. Über die verschiedenen Rollen, die ich bis heute innehatte, durfte ich Out-Persönlichkeiten, aber auch Allies kennenlernen, die mich inspiriert haben und nach wie vor antreiben, mit meinem Engagement weiterzumachen. PROUT AT WORK ist die Plattform dafür geworden, Jean-Luc wurde mein Partner in crime. Gemeinsam sind so tolle Ideen entstanden, haben wir uns gegenseitig ermutigt, dass PROUT AT WORK heute das ist, was es ist. Und ich jeden Tag motiviert in die Arbeit gehe und sagen kann „I am what I am“. Danke an alle, die mich zu dem werden haben lassen, der ich bin.

Lieber Albert, vielen Dank für YourStory!
MYSTORY mit …

Leon
43 Jahre, Hannover

„Manchmal braucht es Zeit
und Vorbilder, die
Veränderungen herbeiführen. …“

Veröffentlicht: Mai 2022

EIn Leben, Zwei Outings plus Migrationsgeschichte – Eine Schublade ist genug!

Seit meiner Geburt und in den ersten Momenten der Wahrnehmungen meiner selbst wusste ich, dass ich nicht in dieses vorhandene Körperkostüm und in die „klassische“ Rollenverteilung passte. Die zugewiesenen Farben (Rot und Pink) und die Vorstellungen der Gesellschaft waren mit meinem Ich nicht kompatibel. Ich wurde dennoch – ohne dass man mir zuhörte oder mich in meinem Dasein erkannte – in das weibliche System gedrückt. Sei es durch die Erziehung oder die gesellschaftlichen Vorgaben in Kindergarten, Schule, Ausbildung und Arbeitswelt. Damals waren Transidentität und Intergeschlechtlichkeit noch nie so sichtbar wie heute.

Es gab keine Wissensvermittlung, Anlauf- und Beratungsstellen – einfach nichts, obwohl trans* und inter* Menschen existieren, seitdem es Lebewesen auf dem Planeten Erde gibt.

So wehrte ich mich von Kindesbeinen an gegen dieses weibliche Kostüm und flüchtete viele Jahre in die lesbische Schublade, in der ich für meine damaligen Begriffe annährend ich sein, männliche Kleidung tragen durfte und mich so verhalten konnte wie ich wollte, eben für mich nicht weiblich. Ich nahm dieses „Versteck“ in Kauf und outete mich wie selbstverständlich bei allen Menschen in meinem Umfeld als lesbisch. Die Reaktionen, vielen Fragen, Vorurteile und Diskriminierungen waren mir aufgrund meiner schottisch-türkischen Migrationsgeschichte von klein auf sehr geläufig – ich war quasi schon „trainiert“ darin, diese Diskriminierung auf allen Wegen auszuhalten zu müssen. Was blieb mir auch anderes übrig?

Meine Mutter war nicht überrascht und meinte, ich sei ja sowieso immer wie ein Junge gewesen. Mit dem Unterschied, dass ich schon immer einer war und bin. Sie wusste es nicht besser, woher denn auch? Der Rest der deutsch-schottisch-türkischen Verwandtschaft reagierte unterschiedlich. Von „das wussten wir schon immer“ bis „dieser Mensch kommt nicht mehr in mein Haus“ war alles dabei.

Es war ein enormer Kraftakt für mich, all die Jahre in mir selbst gefangen zu sein. Jedes Mal, wenn ich den Mut hatte, wirklich „herauszukommen“, passierte etwas, das mich zurückwarf: aus Angst vor den Reaktionen meiner Familie, Freund_innen, Kolleg_innen, Angst vor dem Verlust meines Traumberufes, Angst vor der Trennung meiner damaligen Frau. Und irgendwann lernst du, diese Rolle zu spielen, versuchst dir einzureden, es wird schon auch so irgendwie lebenswert sein.

Doch das ICH-sein-dürfen, frei sein können und der Wunsch, dieses Körperkostüm verschwinden zu lassen, wurde im Laufe der Jahre immer stärker und stärker. Sich vor dem Spiegel anzuschauen und – damals als Kind wie im Erwachsensein – den Wunsch zu verspüren, diesen Ballast einfach abzuwerfen und endlich glücklich und frei sein zu können … dieser Traum, dieses Gefühl war kräftezerrend und unerreichbar, denn ich konnte nicht aus mir heraus. Die Angst war viele Jahre zu groß.

Immer, wenn Beiträge über trans* Menschen erschienen oder ich sie auf dem CSD sah, kam dieses Gefühl und der Wunsch nach Freiheit hoch. Innerlich war ich zerrissen, aber ich versuchte, zu funktionieren, immer wieder aufzustehen und mir einzureden „du schaffst das schon“.
Als ich mich 2018 bei meiner Frau outete und über den großen Wunsch sprach, mich aus den Ketten des Leidens lösen zu wollen, weil ich so nicht mehr kann und will und mich genauso fühle wie Balian B., löste ich großes Entsetzen aus und musste die klassischen Reaktionen über mich ergehen lassen:
„Du willst doch kein Mann sein. Ich liebe dich so, wie du bist. Ich liebe deine weibliche Oberweite. Klar bist du sehr männlich, aber ich mag auch die weibliche Seite. Ich möchte keinen Mann mit Bart und vielen Haaren. Du bist doch gut so wie du bist, warum meinst du, nun ein Mann sein zu wollen? Wenn du das tatsächlich machen wirst, dann lasse ich mich scheiden …“

Das war nur ein Bruchteil der Sätze, die mir durchs Mark rauschten und jedes Mal höllische Schmerzen verursachten. Ich liebte diesen Menschen über alles, und ich versuchte, auch ihre Seite zu verstehen, aber wollte sie mich denn verstehen? Nach dem Gespräch mit meiner Frau entschied ich mich zunächst für uns und unsere Ehe und versuchte, die Sehnsucht wieder zu vergraben. Nur merkte ich, dass es mir nicht mehr so gut gelang, da die Sehnsucht und der Leidensdruck sehr schwer auszuhalten waren. Zweieinhalb weitere lange Jahre und immer wiederkehrende Gespräche mit meiner Frau später: „Wenn du das tust, lasse ich mich scheiden.“

Dann lernte ich tolle Menschen kennen, die genauso waren wie ich, mit identischen Lebensgeschichten. Diese beiden Menschen gaben mir die Kraft für meinen nächsten Schritt: 2020 kam Corona und aufgrund der vielen Streitigkeiten mit meiner Frau zog ich vorübergehend mit meinem damaligen Hund, einer französischen Bulldogge, aufs Land.

Dort hatte ich viel Zeit zum Nachdenken – das erste Mal, dass ich mir viel Zeit für mich nahm und nicht immer nur für andere Menschen parat- oder zurückstand. Endlich war ich dran!

Einfach ALLES aus den vergangenen Jahren kam nach oben geschossen wie eine Tornadowelle. In den 4 Wochen veränderte sich mein Leben im Sekundentakt. Meine Frau verwirklichte ihre Androhung und ich stand alleine da. Und durch einen örtlichen Berufswechsel stand ich auch dort vor einem Neuanfang.

Ich nahm nach 41 Jahren all meinen Mut zusammen und outete mich ein zweites Mal. Wenn nicht jetzt, wann dann? Zunächst bei meinem inneren Freundeskreis, dann bei meinen Kolleg_innen und zu guter Letzt bei meinen Vorgesetzen. Die Resonanz war überwiegend sehr positiv!

Seit 2 Jahren fühle ich mich endlich frei und ich bin froh, diesen wichtigen Schritt gegangen zu sein, auch wenn er aus vielen unterschiedlichen Gründen viele Jahre gedauert hat. Manchmal braucht es Zeit und Vorbilder, die Veränderungen herbeiführen. Heute darf ich ein Vorbild sein und möchte vielen Menschen Mut machen. Hab keine Angst, denn Du bist nicht alleine! Es ist wichtig, geschlechtliche Vielfalt und die unterschiedlichen Facetten sichtbar zu machen und das Wissen darum in alle Bereiche zu bringen. Rückblickend frage ich mich manchmal, woher ich die Kraft entwickelt hatte, immer wieder aufzustehen und weiterzugehen. Es waren die vielen tollen Menschen um mich herum, die mir Kraft und Mut gegeben haben. Natürlich auch meine Lust und Freude am Leben und die Tatsache, anderen Menschen Mut und Kraft geben zu können.
Die Erlebnisse haben mich zu dem Menschen geformt, der ich heute bin, mit all meinen Facetten:

Mein Name ist Leon Dietrich, mein Geburtsort ist die Erde, meine Nationalität ist Mensch, meine Politik ist die Freiheit, meine Religion ist die Liebe und ich liebe Menschen und unsere Demokratie!

Lieber Leon, vielen Dank für YourStory!
MYSTORY mit …

Oxana
34 Jahre, Hamburg

„War man einmal drin, öffnete sich diese
Parallelwelt, in der alle sich kannten und
man so sein durfte, wie man wollte. …“

Veröffentlicht: May2022

Parallelwelten.

Ich komme aus Russland – dem Land, das heute mit Krieg, Gewalt, Propaganda und Homophobie in Verbindung gesetzt wird. Und es ist kaum zu glauben, dass ich in meiner Jugend, also in den 2000er Jahren, die wahrscheinlich liberalste und freieste Zeit dieses Landes erlebt habe. Das war die Zeit, in der das Pop-Duo „t.A.T.u.“ auch in Europa und in den USA bekannt wurde. Damals störte es in Russland keine_n, dass sich zwei Mädchen auf der Bühne küssten. Viele Mädchen gingen dann auch auf den Straßen in kurzen Röcken Hand in Hand, wie im Video All The Things She Said. Es gab auch andere russische Künstler_innen, die in ihren Lieder und Videos homosexuelle Andeutungen machten. Damit bin ich groß geworden.

Als ich noch Schülerin war, wusste ich zwar, dass es Homosexualität gibt, habe mich aber nicht damit identifiziert. Ich hatte immer enge Beziehungen mit meinen Freundinnen, auch Händchen gehalten und in einem Bett geschlafen. Das war alles harmlos und fühlte sich normal an. Ich wusste auch, dass es in einer Parallelklasse einige Mädels gab, die angeblich auf Frauen standen. Darüber wurde nur geflüstert (später habe ich sie dann auf den Lesbenpartys gesehen). Als ich in einem Feriencamp ein Mädchen kennenlernte und jedes Mal eifersüchtig war, als sie von Jungs erzählte, konnte ich meine Gefühle nicht zuordnen.

Die Tatsache, dass ich auf Frauen stehe, wurde mir erst mit 17 klar, nachdem eine junge Frau in einem heterosexuellen Club auf mich zukam und mich kennenlernen wollte. Mit ihr war ich danach etwa ein Jahr zusammen und wir haben immer noch Kontakt (heute lebt sie mit Frau und Kind in San Francisco). Sie führte mich in die lesbische Community ein.

Die LGBT*IQ-Community in meiner Heimatstadt (ca. 2 Millionen Einwohner) war damals ziemlich groß, es gab einen Club für Lesben und einen für Schwule mit wöchentlichen Partys. In Moskau und Sankt Petersburg gab es natürlich noch mehr: mehr Clubs, mehr Partys, mehr Menschen wie wir, aber wir waren glücklich mit dem, was wir hatten. Natürlich war das alles nicht öffentlich und man musste sich auskennen, aber war man einmal drin, öffnete sich diese Parallelwelt, in der alle sich kannten und man so sein durfte, wie man wollte.

Dort habe ich meine Seelenmenschen gefunden, meine besten Freundinnen. Ich habe diese Parallelwelt geliebt, obwohl sie auch nicht perfekt war.

Ich war Studentin, hatte wenig Geld, wohnte bei meinen Eltern, die mich zwar liberal erzogen haben, aber von meiner sexueller Orientierung damals noch nichts wussten. Während ich mich in der Community so wohlfühlte, wurde die Außenwelt immer weniger tolerant – was ich aber erst später merkte.

Ende 2008 kam ich zum Studieren nach Deutschland, ohne zu wissen, wie lange ich bleiben würde … 14 Jahre später bin ich immer noch hier, glücklich mit meiner Frau verheiratet und mit einem tollen Job führe ich das Leben, das ich mir immer gewünscht habe. Ich fühle mich in Deutschland frei und sicher. Ich bin dankbar für alle Erfahrungen, die ich gemacht und alle Menschen, die ich getroffen habe. Ich bin dankbar für die Zeit, die ich in Russland erlebt habe und weiß, dass es dort heutzutage unvorstellbar und manchmal sogar gefährlich ist, Hand in Hand zu gehen. Trotzdem wünsche ich allen LGBT*IQ-Menschen, dass sie früh den Weg zu sich finden und nur die positiven Begegnungen haben. Denjenigen, die sich noch nicht trauen, kann ich nur sagen: „Habt keine Angst, ihr seid normal und nicht alleine!“

Liebe Oxana, vielen Dank für YourStory!
MYSTORY mit …

Jean-Luc
55 Jahre, Frankfurt

„Meine Eltern und Großeltern haben mir beigebracht,
dass die Zugehörigkeit zu einer Minderheit einen positiven
Wert hat und etwas ist, auf das man stolz sein kann. …“

Veröffentlicht: Mai 2022

Wurzelkraft.

Für mich und mein Engagement in der LGBT*IQ-Gemeinschaft sind meine Wurzeln und meine Herkunft sehr wichtig . Seit meiner Geburt gehöre ich zu einer Minderheit in Frankreich, als Protestant in einem sehr katholischen Land. Wir Protestanten repräsentieren etwa 2 Millionen Bürger_innen, das sind weniger als 3 % der französischen Bevölkerung. Wir sind eine starke Gemeinschaft, die sich sehr in Gesellschaft, Politik, Vereinen und Wirtschaft engagiert.

Meine Eltern und Großeltern haben mir beigebracht, dass die Zugehörigkeit zu einer Minderheit einen positiven Wert hat und etwas ist, auf das man stolz sein kann. Außerdem habe ich als Kind gelernt, dass Solidarität innerhalb und außerhalb der eigenen Gemeinschaft essentiell ist – und dass man anderen, die leiden oder abgelehnt werden, helfen sollte, ganz gleich, wer sie sind.

Auch Protestanten wurden in der Vergangenheit diskriminiert, vor allem im 17./18. Jahrhundert, nur wegen ihres Glaubens. Meine Familie hat diese Diskriminierung genauso erfahren wie andere protestantische Familien. Zum Beispiel durften wir früher unsere Toten nicht auf dem Friedhof begraben, sodass jede protestantische Familie einen kleinen Friedhof auf ihrem Grundstück hatte. Aus solchen Erfahrungen heraus wissen wir, wie sich Diskriminierung anfühlt – und das erklärt auch, warum wir Protestanten zum Beispiel während des Zweiten Weltkriegs vielen Juden geholfen haben. So habe ich gelernt, dass ich mich gegen jede Art von Diskriminierung in der gesamten Gesellschaft einsetzen muss.

Seit Generationen haben sich Mitglieder meiner Familie etwa in der Kirche und in der lokalen Politik engagiert. In der evangelischen Kirche werden die kirchlichen Angelegenheiten von einer Synode entschieden und verwaltet, einer Gruppe von Menschen aus 50 % Geistlichen und 50 % Kirchenmitgliedern. Mein Vater war über 20 Jahre lang Mitglied der Synode unserer Gemeinde. Meine Eltern und Großeltern waren auch sehr aktiv in den Gewerkschaften. Und ich bin der erste in meiner Familie, der eine Stiftung mitbegründet hat, worauf sie sehr stolz sind.

Ich habe von klein auf gesehen, wie wichtig und lohnend es ist, sich gesellschaftlich zu engagieren, Zeit für andere zu haben, und dass es möglich ist, positive Veränderungen zu bewirken.

… Vor etwa 23/24 Jahren habe ich mich geoutet und die erste große Liebe meines Lebens kennengelernt. Das gab mir viel Kraft und Selbstwertgefühl, was viele Veränderungen in meinem Leben mit sich brachte. Ich verließ die Universitätswelt, um meine Karriere bei der Deutschen Bank – und auch mein gesellschaftliches Engagement zu beginnen.

Im Jahr 2000 hatte ich dann das Glück, zur Gründungsveranstaltung von dbPride, dem LGBT*IQ-Netzwerk der Deutschen Bank, eingeladen zu werden – das war der Anfang von allem!!!

Von Anfang an, vor mehr als 20 Jahren, bis heute, waren meine Erziehung und meine Wurzeln der Schlüssel und die Hauptantriebskraft für meinen Einsatz für die LGBT*IQ-Gemeinschaft – und darüber hinaus … für eine respektvollere und tolerantere Gesellschaft.

Lieber JEan-Luc, vielen Dank für YourStory!
MYSTORY mit …

Louis
42 Jahre, Berlin

„Allen Schwierigkeiten zum Trotz fand ich
mit 20 den Mut, mich zu allen Facetten
meiner Identität zu bekennen. …“

Veröffentlicht: Mai 2022

Being QPOc.

Als QPOC in diesem mehrheitlich heteronormativen-cisgender, weißen Umfeld, habe ich sehr schnell gelernt, (un)bewusste Unterdrückungsphänomene zu identifizieren, um (relativ) sicher durch die Welt navigieren zu können. Das war einfach eine Frage des Überlebens  – zumindest kam es mir damals, zum Teil zu Recht, so vor. All diesen Schwierigkeiten zum Trotz fand ich mit 20 den Mut, mich zu allen Facetten meiner Identität zu bekennen – dank der Unterstützung von QPOC-Freund_innen, die ich in der Aktivist_innenszene kennengelernt habe und deren Geschichten mich motiviert haben.

Kurz nach meinem Coming Out hatte ich dann die Gelegenheit, nach Köln umzuziehen, um dort weiter zu studieren. Wie alle Gleichaltrigen in einer der queersten Hochburgen des Landes ging ich eines Nachts in eine der zahlreichen Diskotheken. Dort kam ein (weißer) Mann lächelnd auf mich zu, sprach mich aber auf Englisch an. Obwohl ich immer wieder Deutsch redete, antwortete er stets auf Englisch, was mich ein bisschen irritierte, da sein deutscher Akzent einfach zu erkennen war. Der Herr war höflich, nett, bot mir ein Getränk an. Obwohl die Unterhaltung ziemlich angenehm war, war mir klar, dass trotz seines Interesses nicht mehr daraus werden würde. Ganz höflich zeigte ich ihm dann, dass ich außer eines freundlichen Chats nichts mit ihm haben wollte. Plötzlich kam aus dem Nichts die Aussage, die mich völlig vom Hocker warf:

„Why do you have to play hard to get, when a white man is interested in you?“

Mir fiel mir die Kinnlade runter … ich war baff. Der Mann schüttelte seinen Kopf und ging weg. Er dachte wohl, meine fassungslose Reaktion lag daran, dass ich gekränkt war, dass er plötzlich jegliches Interesse an mir verloren hatte – und nicht am rassistischen Beiklang seiner Aussage …

Anfangs dachte ich, dies wäre ein Einzelfall. Unsere gemeinsamen Erfahrungen als queere Menschen hätten aus uns ähnlich eingestellte Menschen gemacht, die sich besser als andere in die Haut jeglicher Minderheiten hineinversetzen können, dachte ich naiv. Wie konnten Menschen, die wie ich Ausgrenzung und Diskriminierung erlebt hatten, die Kühnheit haben, sowas schamlos öffentlich zu äußern? Es war mir damals einfach unvorstellbar, geschweige denn verständlich … bis andere QPOC-Freund_innen mir im Laufe der Zeit ähnliche, manchmal schrecklichere Geschichten erzählten. Da musste ich zur Erkenntnis kommen, dass die queere Community (vor allem der männlich dominierte Mainstream) neben den schon längst identifizierten Themen Sexismus und Transphobie, aller Verleugnung und allem Jammern zum Trotz, leider auch von Rassismus geplagt ist. Und (un)bewusst die rassistischen (aber auch sexistischen) Unterdrückungsmechanismen der allgemeinen Gesellschaft aufrechterhält. Dieses Ungleichgewicht im Machtverhältnis spiegelt sich auch am Arbeitsplatz in meinen Interaktionen mit anderen (weißen) queeren Kolleg_innen wider.

Daher besteht die nächste große Herausforderung für die LGBT*IQ-Community darin, diese Diskussionen und die daraus abgeleitete Arbeit intersektionaler fortzuführen. Das tue ich jeden Tag, sowohl in meiner Rolle als D&I-Manager, als auch in meiner privaten Sphäre, weil es in diesem Gebiet tatsächlich noch wahnsinnig viel zu tun gibt …

Lieber Louis, vielen Dank für YourStory!
MYSTORY mit …

Jannette
38 Jahre, Hamburg

„Es ist wichtig, seine Meinung zu sagen und ein
Vorbild für junge Menschen zu sein. Ich wünsche mir,
dass die nächste Generation noch fortschrittlicher ist,
wenn es um Vielfalt und Integration geht. …“

Veröffentlicht: Mai 2022

Vorbilder.

Ich wuchs in einer sehr katholischen philippinischen Familie auf. Lesbisch zu sein war bei uns keine Option – ganz im Gegenteil: Meine Eltern hielten es für eine „Strafe Gottes“.

Auf meinem Weg zum Coming Out gab es ein paar Vorbilder, angefangen mit diesem einen Mädchen aus der Highschool während meines Austauschjahrs in New Jersey. Sie spielte in meinem Basketball-Team, war offen lesbisch … und machte kein großes Ding daraus. Ich habe ihre Stärke und ihren Mut immer bewundert. Sie hat mich inspiriert.

Mein älterer Bruder ist schwul, und ich habe mich ein paar Jahre nach ihm geoutet. Nach dem Coming Out meines Bruders zogen meine Eltern aus Deutschland nach Kalifornien. Ich war damals 17, bereitete mich auf meine Abschlussprüfungen vor, hatte meinen Freundeskreis hier und beschloss, in Bonn zu bleiben.

Sechs Jahre später erzählte ich meinem Vater, dass ich in einer sehr glücklichen Beziehung mit einer Frau bin. Seine Antwort: „Damit will Gott mich bestrafen.“ Ich war sehr enttäuscht von seiner Reaktion.

Es dauerte etwa 10 Jahre, bis meine Eltern akzeptierten, dass mein Bruder und ich homosexuell sind.

Als ich geheiratet habe, sind meine Eltern nicht gekommen. Erst als wir unsere beiden Töchter bekamen, nahmen meine Eltern wieder den Kontakt auf. Ein paar Jahre später beschlossen meine damalige Frau Mareike und ich, uns zu trennen, aber weiterhin gute Eltern zu sein. Mit meiner neuen Frau zusammenzuleben und dies meinen Eltern zu erklären, fühlte sich für sie wie mein zweites Coming Out an, das ihre heile Welt zerstörte. Glücklicherweise dauerte es dieses Mal keine 10 Jahre, bis sie meine Entscheidung annehmen konnten.

Heute kommen meine Eltern sehr gut mit den Partner_innen meines Bruders und mir aus. Meine Frau Mina, die Kinder und ich leben in Hamburg und haben engen Kontakt zu meiner Ex-Frau. Ich finde es toll zu sehen, was für eine Entwicklung meine traditionellen Eltern in den letzten Jahren gemacht haben.

Viele Menschen haben mir auf meinem Weg zum Coming Out geholfen. Zum Beispiel meine Ex-Frau Mareike, die mich gelehrt hat, selbstbewusst zu sein. Sie hat mich ermutigt, meine Meinung zu sagen und für Dinge zu kämpfen, an die ich glaube. Meine Frau Mina, die mich ermutigt, all die Dinge zu tun, an die ich wirklich glaube, und die mich so liebt, wie ich bin. Meine Kinder, die mich jeden Tag inspirieren. Es ist wichtig, seine Meinung zu sagen und ein Vorbild für junge Menschen zu sein. Ich wünsche mir, dass die nächste Generation noch fortschrittlicher ist, wenn es um Vielfalt und Integration geht.

Mein Unternehmen erlaubt es mir, so zu sein, wie ich bin. Das beeinflusst meine Arbeit. Ich könnte nicht für ein Unternehmen arbeiten, das mich zwingt, zu verbergen, wer ich bin. Authentizität ist der Schlüssel.

Liebe Jannette, vielen Dank für YourStory!