Im Gespräch mit… Ise Bosch

„Die Überreste der eigenen Vorurteile abbauen!“

Ise Bosch ist Gründerin und Geschäftsführerin der Dreilinden gGmbH in Hamburg, die sich für die Rechte von lesbischen, bi-, trans* und inter* Menschen, Frauen und Mädchen einsetzt, und Mitgründerin von filia.die frauenstiftung.

Die zertifizierte Ecoanlageberaterin tritt öffentlich für den verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit Vermögen ein. 2003 gründete sie zusammen mit anderen Frauen das Erbinnen-Netzwerk Pecunia e. V. 2007 erschien im Verlag C.H. Beck ihr Buch „Besser spenden! Ein Leitfaden für nachhaltiges Engagement“, 2018 ihr Buch „Geben mit Vertrauen“.

2017 erhielt Ise Bosch den Transformative Philanthropy Award der Astraea Lesbian Foundation for Justice in New York City. 2018 erhielt sie den Deutschen Stifterinnenpreis.

Frau Bosch, warum setzten Sie sich mit Dreilinden für LGBT*IQ-Menschen weltweit ein?

 

Ise Bosch: Die Frage sollte lauten: warum setzen sich so wenig Menschen und Institutionen hierfür ein. LGBTIQ-Menschen gehören zu den gefährdetsten sozialen Gruppen überhaupt. Trans-Frauen sind fast fünfzigmal eher HIV positiv als der Durchschnitt der Bevölkerung, beispielsweise, und kaum jemand macht so viele Selbstmordversuche wie LGBTQ Jugendliche. Dennoch ist Dreilinden eine von nur zwei Stiftungen in Deutschland, die auf dieses Thema spezialisiert sind und international fördern. Deutsche Förderungen zu diesem Thema ins Ausland – inklusive öffentlicher Förderungen – beliefen sich 2016 auf bescheidene 3,1 Mio. Euro. Die darin enthaltenen 684.000 Euro von Dreilinden sind mehr als die Summe, die unser Entwicklungsministerium diesem Thema widmet.

Im Rahmen unserer PROUT AT WORK-Konferenz 2018, befassen wir uns unter anderem mit der Situation von LGBT*IQ-Personen in Russland, der arabischen wie auch afrikanischen Welt. Wo sehen Sie Unterschiede in der Gleichstellungsarbeit innerhalb der unterschiedlichen globalen Regionen? Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten?

 

Ise Bosch: Diese Antwort wird hier nur sehr pauschal sein können und es gibt immer Gegenbeispiele. Grundsätzlich ist zu beobachten, dass stark religiös geprägte Kulturen geschlechtliche Vielfalt eher ablehnen – nicht nur der Islam, auch katholische und evangelikalisch-christliche Religionen. Sogenannte Verfolgerstaaten mit starker rechtlicher Diskriminierung bis hin zur Todesstrafe für Sex unter Männern finden sich vermehrt ehemals kolonialisierten Ländern. Die Verfolgung hat einen Hintergrund noch aus der Kolonialzeit – die Sittengesetze sind häufig noch die der Kolonialmächte! Sie sind eine enorm wirkmächtige Hinterlassenschaft der Missionierung – durch uns, die Europäer. Strukturelle gesellschaftliche Diskriminierung macht das Leben für queere Menschen ebenso gefährlich wie rechtliche Diskriminierung – besonders wenn eine Kultur stark patriarchalisch geprägt ist, so wie viele Gesellschaften des ehemaligen Ostblocks, gerade in Russland, der Ukraine und den zentralasiatischen Republiken. Und wenn sich eine Gesellschaft nationalistisch abschottet und militaristischer wird, dann wird die Geschlechter-Binarität forciert, das geht grundsätzlich immer zu Lasten von sexuell und geschlechtlich diversen Menschen.

Gibt es aus Ihrer Sicht eine unternehmerische Verantwortung für LGBT*IQ Menschen weltweit?

 

Ise Bosch: Natürlich, schon allein aus Verantwortung für die Mitarbeitenden – ob sie nun selbst zur „community“ gehören oder Angehörige oder Freund_innen dort haben oder einfach die Möglichkeit haben wollen, sich persönlich frei zu entwickeln. Unternehmen haben natürlich ein Interesse am Wohlergehen ihrer Mitarbeiter_innen, nicht nur weil sonst die Produktivität leidet, sondern einfach so, aus Verantwortung als Arbeitgeber. Und damit haben sie auch ein Interesse an liberaleren Gesetzen. Es ist ein Unding, wenn einzelne Mitarbeiter_innen nicht nach Singapur entsandt werden können, weil es dort diskriminierende Gesetze gibt. Aber solange diese Gesetze und das gesellschaftliche Tabu existieren, brauchen die Mitarbeitenden Ansprechpartner_innen im Unternehmen, die sie vertrauensvoll beraten können. Dazu muß das Unternehmen sehr deutlich klarstellen, daß es Diversität unterstützt und sich um die entsprechende Expertise bemüht. Es geht ja nicht nur um die wenigen lesbischen und schwulen Menschen und die noch weniger trans und inter Personen, es geht um Entfaltungsmöglichkeiten für alle. Die Soziologie weiß inzwischen, dass wesentlich mehr Menschen im Lauf ihrer Biographie die sexuelle Orientierung ändern, als früher angenommen wurde.

Das Center for Talent Innovation proklamierte in einer 2016 veröffentlichten Studie, dass Unternehmen den Einfluss ihrer jeweiligen Wirtschaftsmacht in der Arbeit um rechtliche Chancengleichheit für LGBT*IQ-Personen nicht unterschätzen sollen. Wo sehen Sie konkrete Handlungsmöglichkeiten global agierender Unternehmen?

 

Ise Bosch: In mindestens zwei Hinsichten: erstens können sie diskriminierungsarme Arbeitsplätze bieten, und im Fall eines Konfliktes auch Schutz. Und zweitens haben sie vor Ort einen ganz besonderen Zugang zur Verwaltung, Regierung, etc. Nicht nur um formell intervenieren zu können – auch über ihre Beziehungen. Gerade mächtige „Expatriates“ begegnen Menschen mit allerhand Einfluss und können, oder könnten, Hilfe leisten wie sonst kaum jemand. Nicht nur in Krisenfällen natürlich, auch im Sinn einer Horizonterweiterung, durch ihre liberalere Einstellung. Homo- und Transphobie hat eine starke Komponente der schlichten Ignoranz – Menschen kennen das Thema schlecht, sie haben Fragen, die sie aber nicht offen stellen, weil sie verunsichert sind und eine Art „Ansteckung“ fürchten. Wir müssen Situationen finden, in denen die legitimen Fragen gestellt werden können, und sie auch beantworten. Das direkte Gespräch ist dafür natürlich das Beste, und eine vertrauensvolle Situation. Auch Menschen, die nicht zur „community“ gehören, aber ein gewisses „Standing“ haben, können hier Biographien positiv verändern.

Wir befinden uns in ambivalenten Zeiten. So beschrieben Sie in der vierten Ausgabe Ihrer Regenbogen-Philanthropie, zum einen das wachsende Verständnis, dass Diskriminierung von LGBT*IQ-Personen Unrecht ist, zum anderen ihre Lage jedoch nicht weniger – wenn nicht sogar zunehmend prekärer wird. Welchen Beitrag kann jede_r einzelne von uns leisten, dass die Welt für LGBT*IQ Menschen etwas besser wird?

 

Ise Bosch: Die Überreste der eigenen Vorurteile abbauen! Sich trauen, die eigenen kritischen Fragen zu stellen: wo wird’s für mich peinlich, wo sind meine Ängste? Und dann trotzdem öffentlich das Wort ergreifen. Und echte Freundschaften eingehen. Persönliche Freundschaften geben einen unersetzlichen Hintergrund, um für Menschen, die geschlechtlich oder sexuell anders gestrickt sind, auch aufstehen zu können. Und vieles davon ist übertragbar, es gilt in China und in Chemnitz.

Was glauben Sie hält Die Zukunft für die Gleichstellung von LGBT*IQ-Menschenrechten bereit?

 

Ise Bosch: Die Globalisierung ist hier besonders wirkmächtig und sicherlich unumkehrbar. Menschen haben sich schon immer vielfältig geschlechtlich ausgedrückt – nun wird das überall medial erfasst und damit sichtbar. Ich erwarte auf viele, viele Jahre ein Hin und Her zwischen denen, die sich bedroht fühlen und diese Vielfalt bekämpfen, und jungen Leuten, die einfach sind, wie sie sind. Deren Mittel sind aber stärker geworden. Ich glaube, in einer nicht allzu fernen Zukunft wird „community“ und Hilfe für alle geschlechtlich diversen Menschen irgendwie erreichbar sein. Auch wenn die demokratischen Systeme derzeit immer prekärer werden – diese mediale und gelebte Vielfalt wird sich nicht unterdrücken lassen. Das wird für die Einzelnen ein riesiger Fortschritt sein gegenüber jetzt, wo noch immer die meisten jungen geschlechtlich diversen Menschen glauben, sie wären die einzigen mit diesem „Mangel“.