Beth Brooke-Marciniak

„Mein Leben wandelte sich zum Guten; von einem Moment zum anderen von schwarz/weiß zu bunt. Nach 52 Jahren.“

Schon zum dritten Mal in Folge waren Senior Executives bedeutender deutscher und internationaler Wirtschaftsunternehmen und –institutionen der Einladung des PROUT AT WORK-Netzwerkes in die Bankenmetropole Frankfurt am Main gefolgt um sich beim DINNER BEYOND BUSINESS in lockerer Atmosphäre und bei einem erstklassigen Abendessen über die Potentiale und Wege zu einer offenen, vielfältigen und diskriminierungsfreien Arbeitswelt auszutauschen.<br>Darunter waren Vertreter_innen von Continental, BASF, Vattenfall, Coca Cola, Thyssenkrupp, der Europäischen Zentralbank und SAP. In diesem Jahr war es dabei gelungen mit Beth Brooke-Marciniak eine der 100 einflussreichsten Frauen der Welt als Keynote-Speakerin zu gewinnen und mit ihr in einem ungezwungenen Face-to-Face-Dialog, der viele einfühlsame Einblicke und beeindruckende Aussagen zuließ, vor dem spektakulären Ausblick von Deutschlands höchstem Wolkenkratzer ins Gespräch zu kommen.

Mutig“. Dieses Wort kommt einem zwangsläufig in den Sinn, wenn man Beth Brooke-Marciniak, Global Vicepresident Public Policy und Vorstandsmitglied beim global operierenden Beratungshaus EY (Ernst & Young), beim Kamingespräch mit PROUT AT WORK-Vorstand Albert Kehrer zuhört.

Schon zum dritten Mal in Folge waren Senior Executives bedeutender deutscher und internationaler Wirtschaftsunternehmen und –institutionen der Einladung des PROUT AT WORK-Netzwerkes in die Bankenmetropole Frankfurt am Main gefolgt um sich beim DINNER BEYOND BUSINESS in lockerer Atmosphäre und bei einem erstklassigen Abendessen über die Potentiale und Wege zu einer offenen, vielfältigen und diskriminierungsfreien Arbeitswelt auszutauschen.
Darunter waren Vertreter_innen von Continental, BASF, Vattenfall, Coca Cola, Thyssenkrupp, der Europäischen Zentralbank und SAP.

In diesem Jahr war es dabei gelungen mit Beth Brooke-Marciniak eine der 100 einflussreichsten Frauen der Welt als Keynote-Speakerin zu gewinnen und mit ihr in einem ungezwungenen Face-to-Face-Dialog, der viele einfühlsame Einblicke und beeindruckende Aussagen zuließ, vor dem spektakulären Ausblick von Deutschlands höchstem Wolkenkratzer ins Gespräch zu kommen.

Vorbilder – „Wer, wenn nicht ich?“

„Wie mutig“, denken die Zuhörer_innen im Saal also still in sich hinein, wenn Beth Brooke-Marciniak erzählt, dass sie die längste Zeit ihres Lebens nicht offen mir ihrer sexuellen Orientierung umgegangen sei.
Es war im Februar 2011, als sie an der Video-Kampagne „It Gets Better“ zur Ermutigung von LGBT*IQ-Teenagern teilnahm und sich spontan entschloss sich vor laufender Kamera als lesbische Frau zu outen.

„Was würde ich in diesem Video sagen, wenn ich wirklich ehrlich wäre“, hatte sie sich am Abend vorher selbst hinterfragt. „Ich hatte eine Botschaft zu überbringen, von der ich wusste, dass sie von Bedeutung ist.“

Ihre damalige Partnerin und auch sie selbst waren jedoch davon ausgegangen, dass das Outing das Ende ihrer Karriere bedeuten würde. Doch die Reaktionen auf ihre aufsehenerregende Offenheit waren das genaue Gegenteil. „Mein Leben wandelte sich zum Guten; von einem Moment zum anderen von schwarz/weiß zu bunt. Nach 52 Jahren.“
Doch nicht nur das. Ihre Offenherzigkeit änderte gleichzeitig auch die Art, wie in der Geschäftswelt über Diversity gedacht wird.
„Unsere Führungsebene war sehr stolz auf mich, ich bekam Anrufe und Emails von Jugendlichen und Eltern und bei einem der darauffolgenden öffentlichen Auftritte stehende Ovationen, die mich zu Tränen rührten.“

Mit ihrer spontanen Outing habe sie in diesem Moment mehr bewegt als jemals zuvor in ihrem Leben, erzählt Rolemodel Brooke-Marciniak. „Ich verstand es als meine Aufgabe und Verpflichtung. Wer sollte es tun, wenn nicht ich?“

Business Case – „Der Imperativ des Marktes“

Die besten Talente zu bekommen sei ein Aspekt der Business Case-Perspektive bei der Schaffung eines LGBT*IQ-wertschätzendes Arbeitsumfeldes, leitet Albert Kehrer den zweiten Schwerpunkt des diesjährigen Dinner-Gespräches ein und die EY-Chefin ergänzt: „Es geht um den Imperativ des Marktes. Wir müssen so divers wie unsere Kunden sein. Ob hinsichtlich der Funktionalität, der Qualität oder der Innovation – in der Gesamtsumme sind wir so überall besser.

„Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die sich auf den Stellenwert von LGBT*IQ fokussieren, auch in allen anderen Bereichen von Inklusion und Diversity, beispielsweise in der Frauenförderung, gut aufgestellt sind.“

Eine große Hürde sei jedoch die schwierige Messbarkeit der Effekte von Maßnahmen für die Belange von Lesben, Schwulen und transidenten Menschen im Unternehmen.
„Ich weiß“, antwortet Brooke-Marciniak darauf, „in den meisten Ländern ist es nicht möglich sich im Unternehmen als LGBT*IQ zu identifizieren.“ Deshalb sei es schwer die Wirkung von LGBT*IQ-akzeptierender Unternehmenspolitik zu bewerten. „Das macht aber nichts. Denn wir wissen, dass sie einen Mehrwert bedeutet.“
Wer allerdings darauf verzichte, weil der Wert nicht messbar sei, der suche nach Ausreden.

Auf die pointierte Frage ihres Gesprächspartners, ob LGBT*IQ-Belange im Unternehmen tatsächlich notwendigerweise so hohe Priorität genießen müssten, antwortet Brooke-Marciniak wiederum entschieden: „Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die sich auf den Stellenwert von LGBT*IQ fokussieren, auch in allen anderen Bereichen von Inklusion und Diversity, beispielsweise in der Frauenförderung, gut aufgestellt sind.“

Verbündete – „Die Welt verändern, Sicherheit geben“

Bei mittlerweile hereingebrochener Dunkelheit vor den Lichtern der Frankfurter Skyline eröffnet Kehrer das letzte Drittel des Kamingesprächs mit der Frage, warum es wichtig sei  als Unternehmen ein LBGT*IQ-Verbündeter zu sein. Immerhin unterstütze EY sowohl in Großbritannien als auch den USA diese Personengruppe im Unternehmen gezielt.

„Weil wir Werte haben“, gibt Brooke-Marciniak ohne zu zögern zurück. „Wir alle sind weltweit aktiv. Doch auf die Gesetze der einzelnen Länder haben wir keinen Einfluss. Viele davon laufen in die falsche Richtung, sind sogar rückwärtsgewandt und Populismus breitet sich aus. „Unsere Fußspuren können die Welt verändern.“

Auf Kehrers Frage wie der Einzelne sich im Unternehmen zum Verbündeten seiner LGBT*IQ-Kolleg_innen machen kann, zeigt das EY-Vorstandsmitglied Brooke-Marciniak eine Reihe von Handlungsmöglichkeiten auf: Zum Beispiel neugierig sein und keine Angst davor haben. Denn es gehe nicht nur immer um die konkreten Anliegen der lesbisch-schwulen-trans*-Bevölkerung, sondern um grundlegendes Verständnis. „Eines Tages kann es auch dich berühren.“
Erst neulich habe sie in Davos am Rande des Weltwirtschaftsforums mit einem dankbaren CEO gesprochen, dessen Tochter sich unlängst  als homosexuell geoutet habe. Die vorherige Auseinandersetzung mit Thema habe ihm dabei sehr geholfen.

Und es gebe den „Wow, sogar auch der“-Effekt, wenn Persönlichkeiten aus der Unternehmensspitze sich öffentlich als Verbündete der LGBT*IQ-Menschen in ihren Unternehmen zu erkennen gäben und so für diese Mitarbeiter_innen eine bedeutende Sichtbarkeit ermöglichten, die weder für die Personalabteilung noch für die LGBT*IQ-Gruppen selbst in dieser Form erreichbar sei.

Wichtig sei auch, geouteten Beschäftigten Hilfsbereitschaft zu signalisieren, Zeit zu lassen aber bei Bedarf unterstützend zur Seite zu stehen. „Manche gehen nämlich lieber wieder zurück in ihr Versteck, wenn sie den Eindruck haben, dass sie ihrem Boss nicht vertrauen können und nicht wissen ob ihre Offenheit wirklich Sicherheit bedeutet.“

So komme es, dass 70 Prozent der ungeouteten Mitarbeiter_innen über kurz oder lang das Unternehmen verlassen würden. Deshalb sei es wichtig mit ihnen ins Gespräch zu kommen um zu erfahren, was noch zwischen ihnen und ihrem Outing steht. „Vor allem aber ist es wichtig die Gespräche mitzubekommen, die so heute nicht mehr stattfinden sollten und dagegen zu halten, denn das kriegen auch die noch ungeouteten mit“, so Beth Brooke-Marciniak am Ende des Gesprächs.

Video vom Fireplace-Chat mit Beth Brooke-Marciniak

Im Gespräch mit… Joschua Thuir

Berufliche Trans*parenz? Etikettenschwindel nach Vorschrift

Privat heterosexueller Mann, im Dienst homosexuelle Frau – verwirrt? Willkommen im Werdegang von Joschua, der sich selbst über fünf Jahre seiner Polizeilaufbahn zu einem Doppelleben gezwungen sah. Eine Geschichte über berufliche Transparenz, Mut und gesellschaftlichen wie gesetzlichen Nachholbedarf.

Joschua Thuir arbeitet als Polizeivollzugsbeamter bei der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt, meist in der Ein- oder Ausreisekontrolle. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Bestreifung im öffentlich zugänglichen Bereich der Terminals. In seiner Freizeit engagiert Joschua sich unter anderem bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti), beim Verband lesbischer und schwuler Polizeibediensteter Deutschland e.V. (VelsPol), sowie bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Über diese Netzwerke unterstützt er Opfer von Homo- und Transphobie, teilt Erfahrungswerte und schult rechtliche Sicherheit im Umgang mit trans*/inter* Personen.

Aus welchem Grund engagierst Du Dich so stark für LGBT*IQ?

 

Joschua Thuir: Es gibt mehrere Gründe. Einer davon ist meine persönliche Geschichte. Als ich 19 Jahre alt war und mich noch in der Ausbildung befand, stellte ich fest, dass ich mich nicht länger mit der mir bei der Geburt zugeordneten weiblichen Geschlechterrolle identifizieren konnte. Auf der Arbeit habe ich mich jedoch erst mit 25 Jahren als Transmann¹ geoutet, da ich befürchten musste, meinen Beruf zu verlieren, wenn ich meine wahre Identität bereits vor der Verbeamtung auf Lebzeiten preisgebe.

¹Transmann ist die selbstgewählte Bezeichnung des Interviewpartners. PROUT AT WORK verwendet den Begriff trans* adjektivisch um der Fülle nicht-binärer Personenkonzepte in Bezug auf geschlechtliche/sexuelle Identität Rechnung zu tragen.

Transidentität als Hindernis für die Verbeamtung?

 

Joschua Thuir: Indirekt ja. Bei der Polizei gibt es gesundheitliche Voraussetzungen, festgehalten in der Polizeidienstvorschrift 300 (PDV300). Diese werden vor der Einstellung, sowie zur Beendigung der Probezeit überprüft. Die PDV300 unterscheidet zwischen Männern und Frauen. Bei meiner ursprünglichen Einstellung als Frau erfüllte ich die weiblichen Kriterien, später jedoch nicht die männlichen. Zum Beispiel benötigen Männer mindestens einen funktionierenden Hoden – für einen Transmann nach derzeitigem medizinischen Stand nicht möglich.

Ein Coming-Out in der Ausbildungs- sowie Probezeit kam für mich demnach nicht in Frage. Die Ausschlusskriterien veranlassten mich ein Doppelleben zu führen, um meinen Beruf weiter ausüben zu dürfen: Über fünf Jahre lang lebte ich privat als heterosexueller Mann, ging aber als homosexuelle Frau zum Dienst.

„Die Angst, dass rauskommt, dass ich alle anlüge war allgegenwärtig.“

Hatte dieses Versteckspiel Auswirkungen auf Deinen Job?

 

Joschua Thuir: Definitiv. Die Angst, dass rauskommt, dass ich alle anlüge war allgegenwärtig. Die weibliche Legendierung verlangte dazu unglaublich viel Organisation, Konzentration und Schlagfertigkeit von mir. Ich musste z.B. auf weibliche Pronomen reagieren, obwohl ich mich nicht angesprochen fühlte. Darüber hinaus gibt es bei der Polizei geschlechterbezogene Maßnahmen. Zwei ganz konkrete Beispiele: Durch entsprechende Formvorschriften, die ausschließlich gleichgeschlechtliche Durchsuchungen erlauben (insofern keine lebensbedrohliche Situation besteht) wurde ich regelmäßig zu Durchsuchungen von Frauen herangezogen. Weiterhin führte ich häufiger unverschleierte Lichtbildabgleiche von verschleierten Frauen bei der Passkontrolle durch. Dies führte gelegentlich zu Missverständnissen aufgrund meines doch eher männlichen Aussehens.

Wo liegen Deines Erachtens weitere Berührungspunkte von geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung mit Deinem Beruf?

 

Joschua Thuir: Als Polizist arbeite ich mit dem Gesetz. Unser Grundgesetz kennt bisher jedoch nur zwei Geschlechter. Es heißt dort: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Die Formulare der Polizei sind daher binärgeschlechtlich, eine Dritte Option zur Geschlechtsangabe ist bislang nicht vorhanden. Allerdings soll sich dies zum Ende des Jahres ändern und ein drittes Geschlecht im Gesetz implementiert werden.

Immer öfter sind Transidente und intergeschlechtliche Personen in Besitz eines Ergänzungsausweises. Dieser Ausweis kann in Kontrollsituationen ergänzend ausgehändigt werden und klärt über die Rechtslage und die Identität der Person auf. Quasi ein Hilfsmittel für die Polizei. Allerdings ist dieser Ausweis noch recht unbekannt.

Im Bereich des Asylgesetzes gibt es auch Schnittstellen. Die Verfolgung homosexueller sowie transidenter Personen ist mittlerweile als Fluchtgrund anerkannt. Im Rahmen des Asylverfahrens müssen diese Personen zum einen die Verfolgung, zum anderen aber auch ihre Orientierung bzw. geschlechtliche Identität dem Bundesamt für Migration- Flüchtlinge als bearbeitende sowie entscheidende Stelle nachweisen. In meinem beruflichen Alltag kam es vor, dass Personen aus diesen Gründen ein Asylbegehren mir gegenüber geäußert haben.

Welche beruflichen Erfahrungen hast Du denn nach Deinem lesbischen Coming-Out gemacht?

 

Joschua Thuir: Ich hatte ja mehrere Coming-outs. In der Ausbildung habe ich mich als vermeintlich lesbisch geoutet – mit einigen negativen Reaktionen der anderen Anwärter_innen. Es kam zu einigen verbalen Angriffen wie zum Beispiel „Mannsweib“ oder zu nonverbalen Schikanen, wie das Amüsieren über mein äußerliches Erscheinungsbild in der Gruppendusche. Von meinen damaligen Vorgesetzten fühlte ich mich mit den täglichen Problemen ebenfalls alleingelassen. Als für mich klar war, dass ich mich als Mann identifiziere, habe ich mich in der Ausbildung niemanden mehr anvertraut. Daran erinnere ich mich nicht gerne zurück. Leider hatte ich damals nicht den Mut und die Kraft, mich an die nächsthöhere Instanz zu wenden und mir fehlten Informationen z.B. zu VelsPol um auf anderem Wege um Hilfe zu bitten.

„Kollegen aus dem Fortbildungsbereich waren nach meinem Outing sehr daran interessiert meine Expertise zu nutzen.“

Und wie waren Deine Erfahrungen, als Du Dich als Transmann geoutet hast?

 

Joschua Thuir: Als ich mich dann nach den erwähnten fünf Jahren als Transmann bei der Bundespolizei outete, erfuhr ich deutlich positivere Reaktionen, aber auch hier kristallisierten sich einige Wenige mit fehlenden sozialen Kompetenzen heraus

Der nächste Schritt müsste von weiter oben kommen, bisher habe ich darauf leider vergeblich hingewiesen. So muss ich damit leben, dass es Kollegen gibt, die mich ignorieren, selbst wenn man gemeinsam Streife läuft und sich eigentlich blind aufeinander verlassen muss. Ich musste lernen damit umzugehen.

Kollegen aus dem Fortbildungsbereich waren nach meinem Outing sehr daran interessiert meine Expertise zu nutzen. Gemeinsam mit einem weiteren transidenten Kollegen sollte ich einen Vortrag für die Luftsicherheitsschulung erstellen. Hierzu wurde ich sogar für 2 Tage nach Berlin entsendet.

Wie sind Deine Vorgesetzten mit Deinem Outing umgegangen?

 

Joschua Thuir: Meine damaligen Vorgesetzten recht unterschiedlich, im großen Ganzen positiv bis unbeholfen. Ich habe eine Polizeitrainerin gebeten, mich gegenüber meinen direkten Vorgesetzten zu outen und sie zu bitten das in der Hierarchie weiterzugeben. Dies, um allen die Möglichkeit zu gegeben, ins Transsexuellengesetz zu schauen und um sich vor einem Gespräch mit mir mit dem Thema vertraut zu machen. Leider gab es trotzdem Verwirrungen auf allen Seiten, die sich leider nicht immer in Klarheit oder gar Wohlgefallen auflösen konnten.

In solchen Fällen kommt es, wie so oft, auf jede_n Einzelne_n an. Engagierte Vorgesetzte nehmen Diskriminierungen den Wind aus den Segeln. Andere wiederum sind weniger (pro)aktiv oder gar konfliktscheu.

„Zuletzt wünsche ich mir, dass man sich als LGBT*IQ Person weder in der Ausbildung, noch an der späteren Dienststelle alleingelassen fühlt und niemand mehr Angst vor einem Coming-Out in der Behörde haben muss.“

Was wünschst Du Dir zukünftig für die Sichtbarkeit von LGBT*IQ an Deinem Arbeitsplatz?

 

Joschua Thuir: Ich wünsche mir, dass LGBT*IQ-Sachverhalte in der Aus- und Fortbildung implementiert werden, da Fehlverhalten meist aus Unwissenheit und Unsicherheit resultiert. Polizeibedienstete sollten auf Ausnahmeregelungen zumindest aufmerksam gemacht werden, um ihre Aufgaben auch den etwa 10 % der Bevölkerung gegenüber, die nicht heterosexuell oder cisgeschlechtlich² sind, selbstbewusst und rechtssicher erfüllen zu können.

Darüber hinaus wünsche ich mir, dass die Bundespolizei dem Leitbild entsprechend Stellung zu LGBT*IQ Mitarbeiter_innen bezieht, zu dem Themenbereich mehr Aufklärung leistet und die PDV 300 durch das Bundesministerium des Innern derartig überarbeiten lässt, damit Trans- und intergeschlechtliche Personen nicht ohne Weiteres als polizeidienstuntauglich eingestuft werden können. Zuletzt wünsche ich mir, dass man sich als LGBT*IQ Person weder in der Ausbildung, noch an der späteren Dienststelle alleingelassen fühlt und niemand mehr Angst vor einem Coming-Out in der Behörde haben muss. Hierzu müsste die Bundespolizei die Anzahl der beauftragten Ansprechpersonen erhöhen und den Adressatenkreis von LS auf LSBTIQ erweitern, so wie es bei einigen Landespolizeien bereits der Fall ist. Diese Beauftragung soll nicht nur ein Nebenamt ohne Verpflichtungen bedeuten, sondern auch aktiv für Sensibilisierungs- bzw. Antidiskriminierungsarbeit innerhalb und außerhalb der Behörde genutzt werden. Erste Schritte in die richtige Richtung sind bereits erfolgt – ich würde mich freuen diesen Weg gemeinsam mit der Unterstützung der Behörde fortzusetzen.

²Der Begriff bezeichnet Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

Im Gespräch mit… Jens Schadendorf

„Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.“

Jens Schadendorf ist Ökonom, Global Book Consultant und daneben Autor sowie freier Diversity-Forscher am Lehrstuhl für Wirtschaftsethik der TU München.

Zuvor war er als Buchverleger lange Programmleiter, u.a. bei SpringerGabler, Econ und Herder, und verantwortete viele Bestseller, u.a. von Jack Welch, Dalai Lama, Elie Wiesel, Bill Clinton, Michael Porter, Don Tapscott sowie Hans-Werner Sinn, dessen Lektor er bis heute ist.

Zahlreiche Auszeichnungen und Veröffentlichungen, darunter “Der Regenbogen-Faktor. Schwule und Lesben in Wirtschaft und Gesellschaft”, Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Hamburg und Fribourg sowie – mit einem Stipendium des Schweizer Nationalfonds – in Singapur und Bangkok.

Herr Schadendorf, mit Ihrem Buch „Der Regenbogen-Faktor“ haben Sie vor ein paar Jahren viel Resonanz in Medien, Unternehmen und Unis erfahren. Es schien, als sei der Business Case vielen noch nicht bewusst gewesen. Sie schreiben jetzt wieder an einem Buch zu LGBTI*IQ im Arbeitskontext. Hat sich aus Ihrer Sicht etwas verändert?

 

Jens Schadendorf: Ja. Wobei ich hier zunächst sagen will: „Der Regenbogen-Faktor“ bezieht sich auf Deutschland, und dort zu etwa zwei Dritteln auf die Wirtschaft. Mein neues Werk, das nächstes Jahr auf deutsch und englisch erscheinen wird und für das ich gerade bis nach Ostasien, Südafrika, Nordamerika, Moskau, Rom, Paris oder Amsterdam unterwegs bin, hat den ausschließlichen Fokus „Global Business“. Für den deutschsprachigen Raum gilt in der Tat:  Die Sensibilität für den Business Case LGBT*IQ ist gewachsen. Allerdings ist zugleich zu differenzieren: Die Unternehmen etwa sind deutlich weiter als vor vier, fünf Jahren, aber doch auf sehr unterschiedlichen Niveaus unterwegs. Nur weil man zum Beispiel im Juni für ein, zwei Wochen eine Regenbogen-Flagge über dem Firmensitz hisst oder es den MitarbeiterInnen ermöglicht, bei einem CSD-Umzug im Firmen-T-Shirt mit Rainbow-Logo mitzulaufen, hat man nicht zwingend verstanden, welchen Chancen im Business Case LGBT*IQ liegen.  Dennoch ist beides auch ein guter Anfang, um Sichtbarkeit, Bewusstsein und Wertschätzung für LGBT*IQ und den Business Case dazu zu verbessern oder gar erst anzustoßen. Global operierende „Corporates“ sind in diesem Prozess in Deutschland viel dynamischer unterwegs als noch vor einem halben Jahrzehnt, auch wenn es bei ihnen nach wie vor Defizite gibt. Aber, wie heißt es so schön: Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut.

Wichtig für den nächsten Entwicklungssprung wäre u.a., mehr aktive geoutete „Role Models“ auch an der Spitze zu haben. Ich weiß, wie sich das anfühlt – ich war selbst viele Jahre erst in der dritten, dann in der zweiten und schließlich in der ersten Führungsebene unterhalb der Geschäftsleitung angesiedelt. Geoutet. Deutsche LGBT*IQ Top-Dogs sind in dieser Hinsicht leider insgesamt, gemessen an ihren englischsprachigen Kollegen jedenfalls, eher zurückhaltend. Bei allem Verständnis für legitime Karriereziele und unterschiedliche persönliche Wege zum Glück: Mich ärgert das. Wem – als Top LGBT*IQ – viele Talente und Chancen gegeben sind, der muss über Macht, Status und Geld hinauswirken lernen. Oder er bzw. sie steht für das gleiche „Eliten-Versagen“, das heute – nicht selten zu Unrecht – beklagt wird. Was ist das für ein Leben, in dem man für alles den Preis, aber nicht den Wert kennt?  Klingt das zu „moralisch“ oder zu „schwer“? Unsinn. Feiern lassen sich Arbeit und Leben trotzdem.

„Was ist das für ein Leben, in dem man für alles den Preis, aber nicht den Wert kennt? Klingt das zu „moralisch“ oder zu „schwer“? Unsinn. Feiern lassen sich Arbeit und Leben trotzdem.“

PROUT AT WORK wird im Wesentlichen von Unternehmen unterstützt. Sie haben unsere Stiftung 2017 sowohl durch eine Spende als auch durch eine Zustiftung gefördert – vielen Dank dafür! Wieso war Ihnen das ein Anliegen? Warum ist es Ihrer Ansicht nach wichtig, dass auch Privatpersonen die Ziele von PROUT AT WORK finanziell unterstützen?

 

Jens Schadendorf: Als bodenständiger Hamburger und als im Ausland zur Rationalität „erzogener“ Wirtschaftswissenschaftler neige ich nicht zur Übertreibung. Allerdings lasse ich mich auch gerne begeistern. Und ich finde die Idee, für die die PROUT AT WORK Foundation steht, großartig. Sie sucht in Deutschland ihresgleichen. Auch ist mir bekannt, dass der Weg zur Stiftung kein einfacher war. Dass er gegen alle Widrigkeiten gegangen und die PROUT AT WORK Foundation 2013 gegründet werden konnte, weiß ich daher sehr zu schätzen. Wie ich überhaupt jegliches unternehmerisches Handeln, das bereit ist, Risiken einzugehen, um etwas „Sinnvolles“ zu befördern, unterstütze. Und dies umso mehr, wenn es sich – wie bei Stiftungen – auf die Verbesserung „gesellschaftlicher Zustände“ bezieht.  Genau das will ja PROUT AT WORK auch, nämlich: „dass die Arbeitswelt offen ist für alle Menschen, unabhängig von deren sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, dem geschlechtlichen Ausdruck oder geschlechtlicher Eigenschaften/Merkmale.“ So jedenfalls steht es auf der Website und so ähnlich steht es in den Regularien der Stiftung.

Ich bin, wie gesagt, selbst schwul. Und ich war und bin in der Arbeitswelt ökonomisch und auch sonst recht erfolgreich, früher als angestellter Buchverleger und heute als selbstständiger Global Book Expert und Publizist. Es mag altmodisch klingen, aber das ist mir egal: Ich kann durch mein Wirken als Buchautor zu LGBT+-Business-Themen etwas zurückgeben an die Gesellschaft, die mir einiges ermöglicht hat. Und das gleiche will ich – auf ganz andere Weise – durch mein privates Stiftungsengagement bei PROUT AT WORK tun. Jeder muss selbst wissen, wie er sein Leben lebt und wie er für das einstehen will, was ihm wichtig ist. Aber vielleicht ermuntere ich durch mein Handeln ja auch andere, es mir nach zu tun.

„PROUT AT WORK bündelt aktuelle und relevante LGBT+IQ Informationen, bereitet sie auf, vernetzt, berät, ermöglicht wechselseitiges Lernen – als Stiftung und damit über alle Institutionen hinweg.“

Wie sehen Sie die Rolle von Organisationen wie PROUT AT WORK?

 

Jens Schadendorf: Sie ist sehr zentral. Das eine sind ja die Aktivitäten zum Thema LGBT*IQ von Unternehmen oder anderen Institutionen. Das andere aber ist das, was  PROUT AT WORK leistet: überorganisationelle Pressearbeit und Durchführung von Veranstaltungen zum Abbau von Homophobie und Diskriminierung im Arbeitsumfeld, die Beauftragung von Studien über Diskriminierung und Homophobie im  Joballtag, die Veröffentlichung von Ratgebern und Infomaterial zum Nutzen einer wertschätzenden diskriminierungsfreien Kultur im Job oder die Zusammenarbeit mit ausländischen Vereinigungen und Verbänden vergleichbarer Zielsetzung.

All dies kann kein einzelnes Unternehmen auf den Weg bringen. PROUT AT WORK bündelt aktuelle und relevante LGBT*IQ-Informationen, bereitet sie auf, vernetzt, berät, ermöglicht wechselseitiges Lernen – als Stiftung und damit über alle Institutionen hinweg. „For a higher good“ sozusagen. Und zugleich zum Nutzen von Unternehmen und Organisationen, von Führungskräften und Mitarbeitenden. Denn LGBT*IQ Diversity Management weist ja – wie Studien belegen – weit über den Diskriminierungsschutz für sogenannte sexuelle Minderheiten hinaus. Es fokussiert vielmehr vor allem auch auf die mit ihm zu befördernden ökonomischen Chancen und Potentiale – für alle Beteiligten. Dass das Bewusstsein für diese Zusammenhänge unterfüttert und gestärkt wird: Dafür stehen nicht zuletzt die Aktivitäten von PROUT AT WORK, vorangetrieben von ihren Initiatoren und Machern Albert Kehrer und Jean-Luc Vey.

PROUT EMPLOYER Linklaters

„Für unsere Kanzlei liegt der Vorteil auf der Hand: vielfältige Teams sind vielseitiger, kreativer und damit auch erfolgreicher.“

Dr. Sebastian Daub ist Rechtsanwalt und Partner bei Linklaters in Frankfurt am Main. Nach seinem ersten juristischen Staatsexamen absolvierte er ein LL.M-Studium in Atlanta und das Bar Exam in New York. Daraufhin wurde er zum Dr. jur. promoviert und stieg nach seinem Rechtsreferendariat als Associate bei Sullivan & Cromwell ein. Zwei Jahre später wechselte er in gleicher Funktion zu Linklaters, wo er im weiteren Verlauf zunächst Managing Associate und daraufhin zum Partner ernannt wurde. Seine Spezialisierung liegt in Private Equity, M&A und Joint Ventures sowie im Gesellschaftsrecht.

Diversity ist in den großen angelsächsischen Kanzleien lange ein Thema. Wie reagiert die Belegschaft darauf, dass jetzt auch der Fokus auf LGBT*IQ gesetzt wird?

 

Dr. Sebastian Daub: Ganz überwiegend positiv! Manche Kollegen fragen, ob das Engagement überhaupt noch erforderlich ist.  – Aus der Sicht eines hetero Mannes ist es eben mitunter schwieriger zu sehen, ob und in welcher Form LGBTs doch noch mit Vorurteilen und womöglich Diskriminierung zu kämpfen haben oder sich allein wegen der Ungewissheit, wie die Kollegen reagieren, nicht trauen, out zu sein. Um ehrlich zu sein, war es längst überfällig, dass wir neben unserem erfolgreichen Diversity Programm „Ally“ ein spezielles Netzwerk für unsere deutschen LGBT-Mitarbeiter anbieten und so ein weiteres Zeichen für Offenheit und Vielfalt setzen. Niemand soll das Gefühl haben, seine Identität verstecken zu müssen. Und für unsere Kanzlei liegt der Vorteil auf der Hand: vielfältige Teams sind vielseitiger, kreativer und damit auch erfolgreicher. Ferner hat Jean-Luc kürzlich in einem Vortrag bei uns eine Studie zitiert, wonach die Mehrheit der LGBTs ihre sexuelle Orientierung am Arbeitsplatz noch immer verschweigt und rund ein Viertel der Energie verschwendet wird, sich ein Konstrukt nach außen zurecht zu legen. Das ist erschreckend und ermutigend zugleich. Ermutigend deshalb, weil wir durch ein offenes environment offensichtlich unsere Produktivität weiter steigern können. Das überzeugt eben auch Nicht-Betroffene.

„Durch die PROUT EMPLOYER-Kooperation versprechen wir uns neue Impulse und Denkanstöße. Wir Anwälte leben ja von unseren Netzwerken und durch die Kooperation eröffnen wir ein weiteres Netzwerk und helfen unseren LGBTs, beruflich noch erfolgreicher zu sein.“

Welche Ziele verfolgen Sie mit der PROUTEMPLOYER-Kooperation?

 

Dr. Sebastian Daub: Auch wenn wir bereits ein LGBT-Netzwerk ins Leben gerufen haben, sehen wir viel Potential, das Engagement in unserer Kanzlei gegen Homo- und Transphobie weiter auszubauen und so unsere Unternehmenskultur weiter zu verbessern. Wir wollen nach innen und außen ein Signal setzen. Durch die PROUT EMPLOYER-Kooperation versprechen wir uns neue Impulse und Denkanstöße. Wir Anwälte leben ja von unseren Netzwerken und durch die Kooperation eröffnen wir ein weiteres Netzwerk und helfen unseren LGBTs, beruflich noch erfolgreicher zu sein. – Und auch hier wieder: win-win!

Welche Aktivitäten gibt es bei Linklaters zu LGBT*IQ-Diversity?

 

Dr. Sebastian Daub: Wir setzen uns bereits seit Jahren für Vielfalt in unserem Unternehmen ein. In London, New York, Tokio und anderen Standorten unserer Kanzlei haben wir bereits seit langem etablierte LGBT-Communities. In Deutschland, wo unser Netzwerk für unsere LGBT-Mitarbeiter noch recht jung ist, wollen wir es ebenfalls ausbauen und als Plattform etablieren, auf der sich Kollegen über aktuelle Themen, Veranstaltungen, news etc. updaten oder die sie einfach für einen Erfahrungsaustausch nutzen können – gerade auch für neue Kollegen, die das environment noch nicht kennen. Die Vernetzung innerhalb der Linklaters Organisation ist ebenso wichtig. Ich schaue beispielsweise gerne nach Hong Kong, wo die Organisation Community Business das Engagement unserer dortigen Kollegen letztes Jahr mit dem Silver Standard des LGBT + Index ausgezeichnet hat. Wir sind damit die erste und bislang einzige Kanzlei des Magic Circle, der der Silver Standard verliehen wurde. Da will ich in Deutschland auch hin.

Sie sind der Diversity Sponsor bei Linklaters. Warum ist es für Sie eine Herzensangelegenheit LGBT*IQ zu unterstützen?

 

Dr. Sebastian Daub: Ich habe zu viele Freunde, auch noch in meiner Generation, die mit dem Coming out hadern und darunter leiden, dass sie anders sind, als sie vorgeben zu sein. Gerade die Anwaltsbranche hinkt nach meiner Wahrnehmung der übrigen Gesellschaft da noch einen Schritt hinterher. Jede(r) von uns kann sein Potential und seine Talente aber nur ganz entfalten, wenn er/sie sich von seinem Umfeld (Kollegen wie Mandanten) akzeptiert und wertgeschätzt fühlt. Ich versuche, durch meinen Beitrag als Diversity Partner bei Linklaters einen kleinen Teil dazu beizutragen.

Wo sehen Sie die Herausforderungen zu LGBT*IQ Diversity in Ihrem Unternehmen in den kommenden Jahren?

 

Dr. Sebastian Daub: Unser Ziel ist eine Unternehmenskultur, in der die sexuelle Orientierung einfach keine Rolle spielt, weil es egal ist, ob der Kollege etc. „straight“ ist oder LGBT. Und egal eben nicht im Sinne von Ignoranz, sondern von Offenheit.  Die Herausforderung dabei ist aus meiner Sicht, dass wir durch die Diskussion, die wir zum Öffnen brauchen, nicht bei Einzelnen eine Gegenreaktion hervorrufen.

Lieber Herr Daub, vielen Dank für Ihre Zeit.
Claudia Brind-Woody

„Auch LGBT*IQ müssen mutig sein. Es ist ihre Entscheidung. Wir müssen ihnen jedoch auch die positiven Effekte des Coming-Out aufzeigen, statt wie bisher nur Nachteile damit zu verbinden.“

Claudia Brind-Woody arbeitet seit 1996 für IBM, ist Vice President des Unternehmens und zugleich Geschäftsführerin des Global Intellectual Property Licensing. Damit ist sie eine der einflussreichsten homosexuellen Frauen in der internationalen Geschäftswelt und eine Schlüsselperson in zahlreichen LGBT*IQ-Organisationen. Mehr als 40 davon fördert das IT- und Beratungsunternehmen mittlerweile in 30 Ländern und trägt durch diese offene Haltung dazu bei, dass sich auch in anderen Unternehmen eine LGBT*IQ-wertschätzende Unternehmensphilosophie etabliert. In den vergangenen Jahren war Brind-Woody nicht nur Preisträgerin mehrerer Gleichberechtigungspreise sondern auch ständige Vertreterin in den internationalen Rankings der einflussreichsten lesbischen Persönlichkeiten. Damit lebt sie vor, was sie von anderen Unternehmenslenker_innen einfordert und zum Titel ihrer Keynote für das DINNER BEYOND BUSINESS gemacht hat: „Authentic Leadership“.

Wer Claudia Brind-Woody zuhört, wenn sie über die Notwendigkeit und die Chancen einer LGBT*IQ-wertschätzenden Unternehmensphilosophie spricht, kann sich wechselnder Gemütszustände nicht erwehren. Wissendes Schmunzeln lässt sie auf den Gesichtern ihres Publikums erscheinen, wenn sie als Vice President von IBM erzählt, wie man ihr in Japan jüngst berichtet habe, dass es unter den Mitarbeitern keine Schwulen oder Lesben gäbe und somit kein Handlungsbedarf bestünde.
Denn natürlich wissen die Unternehmensvorstände und Senior Executives, die an diesem Abend auf Einladung der PROUT AT WORK-Foundation im Turm der Deutschen Bank AG zum DINNER BEYOND BUSINESS zusammen gekommen sind, dass es nicht so ist. Dass es in jedem großen Unternehmen einen Talentpool von Mitarbeiter_innen mit LGBT*IQ-Background gibt, der noch viel zu oft unerschlossen brach liegt.

Deshalb gelingt es Brind-Woody in ihrer Keynote auch gleich darauf mehrheitlich betretenes Schweigen im Publikum zu erzeugen, indem sie die Frage stellt, wer denn überhaupt über eine Liste der LGBT*IQ-Top-Talente im eigenen Haus verfüge? Nur wenige.

Als sie die Frage erweitert, ob es im Unternehmen die Möglichkeit zur freiwilligen Selbstidentifikation als LGBT*IQ gibt, ist fast keine Hand mehr erhoben.
Brind-Woody bedauert das, räumt aber ein, dass in Deutschland der strikte Datenschutz eine solche Selbstidentifikation verhindere: „Wenn wir nicht wissen, wer unter unseren Angestellten einen LGBT*IQ-Hintergrund hat, wie sollen wir sie dann gezielt fördern?

Auch ein Dinner-Gast fragt, wie man denn Mentoring-Programme für LGBT*IQ-Mitarbeiter_innen auflegen solle, ohne dass damit ein Coming-Out verbunden sei.
Brind-Woodys Antwort darauf ist überraschend aber unmissverständlich: „Auch LGBT*IQ müssen mutig sein. Es ist ihre Entscheidung. Wir müssen ihnen jedoch auch die positiven Effekte des Coming-Out aufzeigen, statt wie bisher nur Nachteile damit zu verbinden.“

Authentisches Führen bedeute eben auch Teams in vielfältiger Zusammensetzung zusammenstellen zu können.
Eine Fußballmannschaft, die nur aus Stürmern besteht, wird nie ein Spiel gewinnen. Ohne den Torwart in seinen grellen Farben funktioniert es nicht“, zieht Brind-Woody die Parallele zwischen Business und Sport. „Auch im Geschäftsleben geht es schließlich ums Gewinnen.“

‚Walk the Talk‘ – den eigenen Worten Taten folgen lassen

Claudia Brind-Woody arbeitet seit 1996 für IBM, ist Vice President des Unternehmens und zugleich Geschäftsführerin des Global Intellectual Property Licensing. Damit ist sie eine der einflussreichsten homosexuellen Frauen in der internationalen Geschäftswelt und eine Schlüsselperson in zahlreichen LGBT*IQ-Organisationen. Mehr als 40 davon fördert das IT- und Beratungsunternehmen mittlerweile in 30 Ländern und trägt durch diese offene Haltung dazu bei, dass sich auch in anderen Unternehmen eine LGBT*IQ-wertschätzende Unternehmensphilosophie etabliert.

„Was hilft es, wenn wir hier oben in der Unternehmensspitze tolle Strategiepapiere zu Diversity haben, aber gleichzeitig ein homophober Manager auf der mittleren Leitungsebene der beruflichen Laufbahn und damit dem Leben vieler unserer Talente mit LGBT*IQ-Background im Wege steht?“

In den vergangenen Jahren war Brind-Woody nicht nur Preisträgerin mehrerer Gleichberechtigungspreise sondern auch ständige Vertreterin in den internationalen Rankings der einflussreichsten lesbischen Persönlichkeiten. Damit lebt sie vor, was sie von anderen Unternehmenslenker_innen einfordert und zum Titel ihrer Keynote für das DINNER BEYOND BUSINESS gemacht hat: „Authentic Leadership“.
Darunter versteht sie den Auftrag die eigene Führungsrolle durch authentische Beziehungen zu den Mitarbeiter_innen zu legitimieren.
Kann ich als Vorgesetze_r die Worte ‚lesbisch‘ oder ‚transgender‘ so benutzen, so dass mein Gegenüber den Eindruck hat, dass es kein Problem ist, so zu sein?“

Das setze einen Führungsstil mit dem Herzen voraus, ohne Angst sich dadurch verwundbar zu machen. Aber auch, den eigenen Worten Taten folgen zu lassen. Wer sage, Vielfalt im Arbeitsumfeld sei wichtig, müsse auch etwas dafür tun.
Was hilft es, wenn wir hier oben in der Unternehmensspitze tolle Strategiepapiere zu Diversity haben, aber gleichzeitig ein homophober Manager auf der mittleren Leitungsebene der beruflichen Laufbahn und damit dem Leben vieler unserer Talente mit LGBT*IQ-Background im Wege steht?“

Betroffene Stille füllt den Saal im 35. Stock als Brind-Woody den Führungskräften im Publikum erklärt, weshalb auch heute noch viele LGBT*IQ ein Coming-Out im Beruf vermeiden. Sie erzählt von der steigender Zahl lesbischer, schwuler oder trans* Kinder und Jugendlicher in den USA, die von ihren Eltern aus dem Haus geworfen und in die Obdachlosigkeit getrieben würden. Von der ebenfalls steigenden Selbstmordrate unter diesen Teenagern.
Als muslimisches, jüdisches oder dunkelhäutiges Kind wird man möglicherweise auch auf dem Schulhof gemobbt. Aber man kommt nach Hause und findet bei seiner Familie Verständnis und Unterstützung, denn die Eltern sind selbst muslimisch, jüdisch oder dunkelhäutig. Bei lesbischen, schwulen, transidenten oder genderqueeren Kindern sind es die Eltern aber meistens nicht.“

Übertragen auf den Anspruch authentischer Menschenführung bedeute dies, zu lernen auch Mitarbeiter_innen motivieren und fördern zu können, die anders seien als man selbst.
Viele, auch sie selbst, seien bei benachteiligenden Entscheidungen oder verletzender Wortwahl in der Vergangenheit zu oft still gewesen. „Aber Schweigen ist kein Führungsstil“, bringt es Brind-Woody auf den Punkt.

Am Ende ihrer Keynote ruft sie dazu auf, als Führungskraft wagemutiger und selbstbewusster zu sein, auch wenn das bedeute gelegentlich gegen den Strom schwimmen zu müssen.
Natürlich ist es ist wunderbar erfolgreich zu sein. Aber noch stärker ist es Bedeutsames zu tun.“

Auch in diesem Jahr waren wieder fast 30 Vorstände und Senior Executives von Lufthansa, Vodafone, IBM, Commerzbank, Deutsche Bank, Fraport, Europäischer Zentralbank, Randstad Deutschland, Accenture, White & Case, Sandoz, Oliver, Wyman, Linklaters, Bayer, Procter & Gamble, Hogan Lovells Merck, der Mainzer Verkehrsgesellschaft, KPMG und Google der Einladung der PROUT AT WORK-Foundation gefolgt, um beim Dinner in lockerer Atmosphäre die Vorteile vielfältiger und chancengleicher Mitarbeiter_innenführung zu diskutieren.

Video der Rede von Claudia Brind-Woody:

John Browne

Noch seien Coming-Outs in der Wirtschaft – gerade unter Führungskräften – selten […]. Es fehle an Vorbildern, die zeigen, wer sie sind.

Wo der frühere Chef von BP und heutige Executive Chairman der Ölinvestfirma L1 Energie, John Browne (68), auftritt, wird es emotional – ein seltener Umstand in der Welt der Wirtschaft. In seiner Keynote an die teilnehmenden Führungskräfte erzählte der gebürtige Hamburger Browne aus seinem Leben und von seinem jahrzehntelangen Verstecken. Seine Mutter, eine Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz, hatte ihm in jungen Jahren eingeschärft, dass es gefährlich sei, jemandem ein Geheimnis zu erzählen und ein identifizierbarer Teil einer Minderheit zu sein. An diesen Rat hielt sich Browne bis zu seinem Zwangs-Outing im Jahr 2007. In seinen 41 Jahren bei BP – davon 13 Jahre als Chief Executive –, in der er den Energiekonzern zu einer der größten Firmen weltweit entwickelte, habe er die ganze Zeit ein Doppelleben geführt: eines für die Öffentlichkeit und ein privates als homosexueller Mann. Seine wahre Identität zu verheimlichen, habe von ihm ständige Wachsamkeit verlangt, berichtete Lord Browne. Heute findet er, dass es keine gute Idee sei, seine Identität zu verstecken. Das koste Menschen viel Energie und Kreativität, die in der Arbeitswelt letztlich den Unternehmen verloren gingen.

Eine Studie für sein Buch „The Glass  Closet: Why Coming Out is Good Business“ habe herausgefunden, dass der Wert von Unternehmen mit authentisch und offen lebenden Vorständen deutlich höher liege als bei Unternehmen mit Vorständen, die traditionell-konservative Ansichten vertreten. Wirtschaft und Gesellschaft profitierten also nachweislich von toleranten Unternehmenskulturen, sagte Brown in seiner emotionalen Keynote. An die anwesenden DAX-Vorstandsmitglieder und Top-Führungskräfte richtete er deshalb den Appell: Die Logik von Unternehmen sei, Menschen zusammen zu bringen. Deshalb sei es nur folgerichtig und wichtig, dass sich Weltkonzerne und große Unternehmen als Vorkämpfer zu Diversity und Inclusion bekennen, sie offen kommunizierten und immer wieder selbst auf die Tagesordnung setzten, um so ein angstfreies Arbeitsumfeld zu schaffen. Noch seien Coming-Outs in der Wirtschaft – gerade unter Führungskräften – selten, konstatierte der charismatische Browne. Es fehle an Vorbildern, die zeigen, wer sie sind.

In die Runde fragte Browne, wie viel offen schwul lebende Vorstände es denn in den Konzernen des S&P 500 Index gebe? Nur einen, und das sei Tim Cook, der CEO von Apple.

Als eine der erfolgreichsten Manager der Welt hat sich John Browne seit seinem Zwangs-Outing durch einen früheren Freund bewusst entschieden, ein Vorbild zu sein, ein „Role-Model“, um andere zu ermutigen, zu sich selbst zu stehen und ihren eigenen Weg zu gehen.

Er wolle das Richtige tun, erklärte Brown sein Engagement. Deshalb schreibe er Bücher und sei in der Öffentlichkeit aktiv. Aus eigener Erfahrung wisse er nur zu gut: Die Wirtschaft ist ein „spezieller Ort“ und sehr konservativ. Veränderungen bräuchten hier Zeit und beharrlichen Druck.

In Deutschland hat sich bisher nur ein Konzern-Vorstandschef als schwul lebend geoutet: Niek Jan van Damme von der Deutschen Telekom.

„This was my first prout-at-work event I was encouraged to join, because I was really interested to hear Lord Browne. He is really interesting as a person and a very credible person to speak about inclusion in corporate environment. He gave us lessons which I hope we could take home to our own companies.“

Die extra zum DINNER BEYOND BUSINESS nach Hamburg gereisten Vorstandsmitglieder waren bewegt von dem, was John Browne erzählte. Robin J. Stalker, Finanzvorstand bei Adidas, erinnerte sich an seine erste Begegnung mit der LGBT*IQ-Bewegung, und dass er erst eine Weile über ihr Anliegen nachdenken musste, sich heute aber absolut damit identifiziere. „This was my first prout-at-work event I was encouraged to join, because I was really interested to hear Lord Browne. He is really interesting as a person and a very credible person to speak about inclusion in corporate environment. He gave us lessons which I hope we could take home to our own companies.“

An die halbstündige Rede von Lord Browne schloss sich ein vorzügliches Essen an, das bis in den späten Abend dauerte und währenddessen sich interessante Gespräche und neue Kontakte entwickelten.

Janina Kugel, Arbeitsdirektorin der Siemens AG, würde beim nächsten DINNER BEYOND BUSINESS gern wieder mit dabei sein: „Ich habe eine sehr aufgeschlossene Gruppe von unterschiedlichen Unternehmensvertreter_innen getroffen, die sagen, das Thema ist wichtig, wir wollen es vorantreiben, damit Diversity auch in Deutschland publik wird. Denn, wenn wir es genau überlegen, haben wir hier Nachholbedarf Leute zu finden, die sagen, ja ich gehöre der LGBT-Community an, ich stehe dazu, ich bin der oder die, die ich bin, und verstecke mich nicht.“

Norbert Janzen, als Arbeitsdirektor Mitglied der Geschäftsführung bei IBM, ist ebenfalls von der Idee des Abends begeistert: „Ich habe eine große Affinität zur Offenheit und liebe den Austausch zwischen Firmen, weil ich glaube, wir können sehr viel voneinander lernen. Und die Plattform, die hier geboten wurde, ist phänomenal. Das zu verbinden mit einem After-Work Dinner und mit einem so inspirierenden Gast ist hervorragend. Ich werde eine Menge mitnehmen und in die Firma zurücktragen.“

Die Veranstaltung mit Lord John Browne in Hamburg ist der Auftakt zu der Reihe DINNER BEYOND BUSINESS. Dabei trifft sich in lockerer Atmosphäre und bei einem erstklassigen Menü ein ausgewählter Kreis von Vorstandsmitgliedern mit den Vorständen und Stiftern von PROUT AT WORK. Die Keynote von namhaften Referenten schafft jeweils den Rahmen für Inspiration und den Austausch über neue Perspektiven der Unternehmenskultur. Die Treffen sind in unregelmäßigen Abständen geplant.

Der Einladung von PROUT AT WORK zum ersten DINNER BEYOND BUSINESS waren Vorstände und Executives von Adidas, Allianz, Bayer, Commerzbank, Covestro, DEA, Deutsche Bank, Deutsche Börse, Dow, EY, GE, IBM, Latham&Watkin, Merck, Pfizer, PwC , Sandoz, Siemens, Sodexo und White&Case gefolgt.

Video der Rede von Lord Browne: