
Im Gespräch mit… Nils_Séline „Nica“ Schächtele
„Mut, Mut, und nochmal Mut. Intergeschlechtlichkeit ist nach wie vor ein großes Tabu-Thema.“
Nils_Séline „Nica“ Schächtele, geboren in Freiburg im Breisgau, studierte am Karlsruher Institute of Technology Elektro- und Informationstechnik. Bereits vor und während des Studiums beschäftigte sie_er sich mit professioneller Beschallungs- und Tontechnik. Ihr_sein Weg führte 2002 nach Straubing zur EVI Audio GmbH (seit 2006 Tochterfirma des Bosch Geschäftsbereichs Building Technologies), wo Nica als System-Testingenieur_in tätig ist.
Du bezeichnest dich selbst als divers. Welche Erfahrungen hast du damit bei Bosch gemacht?
Nils_Séline „Nica“ Schächtele: Bei Bosch wird DIVERSITÄT seit einigen Jahren großgeschrieben. Mir hat die Bezeichnung „divers“ schon immer sehr gut gefallen, da ich sowohl intergeschlechtliche als auch transgeschlechtlich-androgyne Bigender Eigenschaften habe und „divers“ alles mit einschließt. Die Gesetzesänderung in Deutschland zur dritten Option hat bei Bosch und bei mir parallel einiges angeschoben, und seit diesem Jahr gibt es viele gemeinsame diverse Schritte, regen Austausch, eine sich gegenseitig weiterbringende Win-Win Beziehung. Ich bezeichne mich manchmal scherzhaft als „Bosch-Quoten-Diverse“. Das Feedback von Kolleg_innen am Standort war verhalten positiv, begleitet von sehr viel Respekt für meine Offenheit. Es gab auch die eine oder andere Irritation, insbesondere aufgrund meiner zwei zusätzlichen Vornamen Séline und Nica. Wenn ich das Thema von mir aus angesprochen habe, war die häufigste Frage: „Darf ich dich weiterhin mit Nils ansprechen?“, was für mich in Ordnung ist.
Was bedeutet es für Dich inter* in unserer Gesellschaft zu sein?
Nils_Séline „Nica“ Schächtele: Es bedeutet, zu einer weitgehend unsichtbaren und tabuisierten Minderheit zu gehören. Manchmal kommt es mir so vor, als ob wir Aliens aus einem Science-Fiction Film wären: „Gibt‘s solche Menschen wirklich?“ „Ja, es gibt sie!!“. Bei einer Person typisch weibliche und zugleich typisch männliche Eigenschaften wahrzunehmen, oder Details darüber zu erfahren, bis hin zu einer vollständigen Uneindeutigkeit, sorgt bei vielen Menschen für Unbehagen, das passt nicht ins anerzogene binäre Weltbild. Und diese Schwelle zu überwinden braucht viel Geduld und Ausdauer.
„Größte Herausforderung ist und bleibt die innere Überwindung, sich anderen gegenüber offen zu äußern. „
Wann fand Dein Outing in deinem beruflichen Umfeld statt? Und welche Herausforderungen gab es dabei in deinem Unternehmen und mit Kolleg_innen?
Nils_Séline „Nica“ Schächtele: Mein Outing bei Bosch begann während eines Telefonat mit Olaf Schreiber – Sprecher des Bosch LGBT*IQ Netzwerks RBg – gefolgt von einem Telefonat mit Anja Hormann vom zentralen Bosch Diversity Team zum Thema „dritte Option“. Danach informierte ich Step-by-Step meine direkten Bürokollegen, Fahrgemeinschaft, Vorgesetzte und die lokale Personalabteilung. Inspiriert durch ein wunderbares Video am IDAHOBIT, von Kolleg_innen für Kolleg_innen, habe ich meinen Vornamen im firmeninternen Adressbuch auf Nils_Séline abändern lassen – mit Gender_Gap, um das Kontinuum zwischen Mann und Frau sichtbar zu machen. Ich schrieb hierzu meinen ersten Blog im internen Netzwerk – und war manchmal zu Tränen gerührt über das weltweite zustimmende Feedback. Am Diversity Day gab es an unserem Standort ein Diversity Business Lunch, wo ich mit dabei war und nichtbinäre Gender Aspekte einbringen konnte. Generell war ich angenehm überrascht, dass ich in allen Instanzen sehr wohlwollend und wertschätzend behandelt wurde. Größte Herausforderung ist und bleibt die innere Überwindung, sich anderen gegenüber offen zu äußern. Und nicht zu vergessen die IT, die an vielen Stellen nur eine Pflichtauswahl zwischen männlich und weiblich zulässt.
Welche Hilfestellungen würdest Du inter* Personen für ihr Outing geben?
Nils_Séline „Nica“ Schächtele: Langsam vorgehen, kleine Schritte machen, sich Zeit lassen. Ein inter* Outing braucht besonders viel Aufmerksamkeit und Überwindung, es kann auch schnell mal in eine unerwünschte Richtung abdriften. Am besten mit Personen beginnen, die einem nicht ganz so nahe stehen. Nach etwas Übung klappt das auch mit Familie und guten Freund_innen. Und wendet euch an LGBT*IQ Allies, das sind offene Menschen, die mit viel Interesse zuhören. Gespräche mit Allies tun gut und kräftigen das Selbstbewusstsein.
„Dazu passend wünsche ich mir einen lockeren Umgang, so ähnlich wie übers Wetter oder über „Was kochst du heute?“ zu reden.“
Was wünschst Du dir in Hinblick auf die Sichtbarkeit von inter* Personen im speziellen und der LGBT*IQ-Community im Allgemeinen in Deinem Unternehmen?
Nils_Séline „Nica“ Schächtele: Mut, Mut, und nochmal Mut. Intergeschlechtlichkeit ist nach wie vor ein großes Tabu-Thema. Es fehlt vielerorts ein klares gesellschaftliches Statement gegen vorschnell begonnene hormonelle Behandlungen oder chirurgische Eingriffe, die medizinisch nicht notwendig sind. Die Wenigen, die sich offen zeigen, werden überschüttet mit Zuschriften und Anfragen von allen Seiten, und es gibt ja auch noch andere wichtige Themen. Ich wünsche mir daher viele Personen, ganz besonders auch viele Allies, die weitergeben, dass sich menschliche Körper nicht nur zu Mann oder Frau entwickeln, sondern es darüber hinaus eine große Vielfalt an geschlechtlicher Entwicklung gibt. Dazu passend wünsche ich mir einen lockeren Umgang, so ähnlich wie übers Wetter oder über „Was kochst du heute?“ zu reden. Das hat letztens in der Stuttgarter S-Bahn schon mal super geklappt. Für unsere Bosch LGBT*IQ Community wünsche ich mir, dass kontinuierlich viele Personen dazukommen, der Anteil an Allies Stück für Stück höher wird, und dass Gender-Diversity noch mehr Präsenz bekommt. Das gilt für Inter*, Trans* und Queer* Themen jeglicher Art.

PROUT EMPLOYER METRO
„Ich möchte, dass wir in 10 Jahren nicht mehr über Diversity & Inclusion sprechen müssen, da wir beides einfach leben.“
Laura Halfas arbeitete für verschiedene Handels- und Beratungsunternehmen in den Bereichen Einkauf, Vertrieb und IT bevor sie im Jahr 2008 zu METRO kam. Sie startete im IT-Bereich Supply Chain Management und wechselte danach zu Customer Marketing IT. Sieben Jahre später wurde Laura Halfas, die einen Bachelor Abschluss in Trade & Commerce hat, Abteilungsleiterin für eCommerce, Marketing Operations & Traceability. Ende 2017 übernahm sie schließlich die Position Head of Corporate Responsibility. Ihr Fokus liegt auf Diversity & Inclusion und Corporate Citizenship.
Frau Halfas, die METRO AG zählt ganz klar zu den aktiveren PROUT EMPLOYER. Mit welchen Aktivitäten setzt sich METRO konkret für mehr LGBT*IQ-Chancengleichheit ein?
Laura Halfas: METRO hat als einer der ersten Großhändler den Free and Equal Standard of Conduct for Business der UN unterzeichnet. Er stellt sicher, dass alle Mitarbeiter_innen „frei und gleich“ sind. Zudem haben wir ein sehr starkes internes Netzwerk mit METRO Pride. In diesem Jahr fanden zum ersten Mal die Diversity & Inclusion Days am Campus in Düsseldorf statt, um das Interesse der Mitarbeiter_innen für das Thema Vielfalt zu wecken. Und METRO war 2019 erneut auf der größten LGBT+ Karrieremesse in Europa Sticks & Stones vertreten.
Auf welche Initiativen sind Sie persönlich besonders stolz?
Laura Halfas: Wir haben bei METRO ein Positionspapier zum Thema Blutspende initiiert, da die Richtlinie diskriminierend ist. So wird homosexuellen Männern pauschal ein Risikoverhalten unterstellt, unabhängig von ihrem tatsächlichen sexuellen Verhalten und ihrer Lebenssituation. Toll wäre, wenn wir gemeinsam mit PROUT AT WORK ein Positionspapier der deutschen Wirtschaft hinbekommen würden. Deshalb möchte ich auch hier noch mal dazu aufrufen, sich an der Aktion zu beteiligen.
„Gleichberechtigung ist mein Antrieb. Zuerst habe ich mich nur mit dem Thema Gender Equality beschäftigt, dann aber gemerkt, dass es viele Bereiche gibt, wo es keine Gleichheit gibt.“
Als Head of Corporate Responsibility ist es Ihre Aufgabe darauf zu schauen, dass die METRO AG ihrer unternehmerischen Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft auch gerecht wird. Welche Verantwortung trägt ein Unternehmen Ihrer Meinung nach für LGBT*IQ-Chancengleichheit?
Laura Halfas: Wir sind ein People Business, in unserer gesamten Wertschöpfungskette arbeiten wir mit Menschen zusammen. Als globales Unternehmen mit mehr als 150.000 Mitarbeiter_innen in 36 Ländern ist es unsere Pflicht, darauf zu achten, dass alle Menschen gleich behandelt und nicht diskriminiert werden – egal, ob es um die METRO Belegschaft, Service Partner, Lieferanten oder Kunden geht.
Wobei erhoffen Sie sich dabei konkrete Unterstützung von PROUT AT WORK?
Laura Halfas: Ich und auch viele meiner Kolleg_innen schätzen die Vernetzung und den Austausch mit PROUT AT WORK. Die Stiftung verfügt über viel Erfahrung und Know-how. So bekommen wir immer wieder neue Impulse, um den Kulturwandel innerhalb von METRO voranzutreiben und unsere Arbeitsplätze noch offener und weniger anfällig für Diskriminierung zu gestalten. Zudem werden unsere Aktivitäten auch nach außen sichtbar. Und wie gesagt, beim Thema Positionspapier Blutspende gilt: Gemeinsam können wir es schaffen!
Sie waren sofort zu einem gemeinsamen Interview bereit – Danke nochmals dafür! Inwiefern ist LGBT*IQ-Chancengleichheit für Sie auch eine Herzensangelegenheit?
Laura Halfas: Gleichberechtigung ist mein Antrieb. Zuerst habe ich mich nur mit dem Thema Gender Equality beschäftigt, dann aber gemerkt, dass es viele Bereiche gibt, wo es keine Gleichheit gibt. Ich möchte, dass wir in 10 Jahren nicht mehr über Diversity & Inclusion sprechen müssen, da wir beides einfach leben. Überall in der Gesellschaft. Allerdings ist LGBT+ noch längst nicht überall ein Thema. Menschen werden noch immer diskriminiert. Das will ich ändern. Jede_r soll die Möglichkeit haben, sich so zu geben, wie sie_er ist.
Liebe Frau Halfas, vielen Dank für das Gespräch!

PROUT EMPLOYER OTTO
„MORE* ist für mich deshalb auch ein ganz klares Signal nach draußen – eines, das zeigt, dass wir in der Otto Group […] auch weiterhin ein weltoffener, toleranter, bunter Konzern bleiben.“
Ingo Bertram ist Pressesprecher bei OTTO und Co-Founder von MORE*, dem LGBTIQ*-Netzwerk der Otto Group. Zuvor leitete der gebürtige Bremer in der Unternehmenskommunikation des Logistikdienstleisters Hermes die Abteilung „Corporate PR & Content“ und war als PR Consultant für internationale Marken und Konzerne beratend tätig.
Ihr seid ein ganz junges Netzwerk – erst 2019 gegründet. Erzählt uns, wie es von der Idee zur Gründung und den ersten Aktionen als Netzwerk kam?
Ingo Bertram: Die Otto Group macht sich schon lange für Diversity stark, das schließt LGBT*IQ explizit ein. Die 2017 gestartete Partnerschaft mit Hamburg Pride ist ein schönes Beispiel dafür. Dennoch fehlte innerhalb der Konzerngruppe bislang ein offizielles Framework, dass die Vernetzung von LGBT*IQ-Menschen gezielt vorantreibt, queere Themen fördert und Aktionen koordiniert. Auch fehlte bislang eine zentrale Stimme, die die Interessen unserer queeren Kolleg*innen vertritt. Genau deshalb haben wir im Mai 2019 mit MORE* ein queeres Network in der Otto Group gegründet. Ende Juli sind wir dann, anlässlich der Hamburg Pride Week, mit dem Netzwerk offiziell an den Start gegangen – und haben zum Auftakt den OTTO-Campus mit verschiedenen Aktionen in ein Meer aus Regenbögen getaucht, inklusive Rainbow-Zebrastreifen und riesiger Regenbogentorte. Der Zebrastreifen bleibt übrigens dauerhaft auf unserem Campus, gleiches gilt für die Regenbogenflagge vor dem Haupteingang. Die Torte hingegen hat keine zwei Stunden überlebt.
„Ob wir mit MORE* in der Otto Group dauerhaft Erfolg haben werden, hängt in erster Linie davon ab, wie tief wir unsere Vision im Konzern und im Mindset der Belegschaft verankern können.“
Mit welchen Herausforderungen wurdet ihr konfrontiert? Wo habt ihr Unterstützung erfahren?
Ingo Bertram: Wir haben schon in der Gründungsphase erfreulich viel Zuspruch und Unterstützung erfahren, und das nicht nur von direkten Kolleg*innen, sondern explizit auch aus den höchsten Führungsebenen. Mir kam es beizeiten so vor, als hätten viele Menschen hier nur darauf gewartet, dass endlich ein queeres Netzwerk an den Start geht. Insofern war es für uns letztlich die größte Herausforderung, das Netzwerk nicht nur innerhalb weniger Wochen offiziell zu gründen, sondern zum Start auch einen Auftakt zu kreieren, der unseren eigenen, hohen Ansprüchen gerecht wird – und all das, ohne unsere Hauptjobs zu vernachlässigen. Dass wir nach dem offiziellen Start am 29. Juli binnen 48 Stunden bereits über 150 MORE* Supporter hatten, hat mich völlig umgehauen.
Ihr habt mit Gesa Heinrichs eine enorm engagierte Person als Executive Sponsor an Eurer Seite. Inwiefern hilft Euch dies in Eurem Engagement?
Ingo Betram: Ob wir mit MORE* in der Otto Group dauerhaft Erfolg haben werden, hängt in erster Linie davon ab, wie tief wir unsere Vision im Konzern und im Mindset der Belegschaft verankern können. Dies wiederum setzt voraus, dass wir möglichst viele Kolleg*innen motivieren können, die Arbeit unseres Netzwerks aktiv mitzugestalten und Ideen voranzutreiben. Natürlich ist es dabei hilfreich, dass MORE* auch in höheren Führungsebenen über engagierte Mitglieder und Supporter verfügt, wie etwa Gesa Heinrichs oder auch unsere Schirmherrin Katy Roewer, Bereichsvorständin Service & HR bei OTTO. Das erleichtert den Zugang zur Führungsspitze und kann Abstimmungswege verkürzen. Entscheidend ist letzten Endes aber, dass sich unsere Ideen, Visionen, Wünsche unabhängig von Hierarchien im Unternehmen festsetzen. Und dafür braucht es jede*n Einzelne*n.
Warum ist es für Euch eine Herzensangelegenheit LGBT*IQ zu unterstützen?
Ingo Bertram: Hier möchte ich zwischen persönlicher und gesellschaftlicher Ebene unterscheiden. Persönlich betrachtet ist die Antwort insofern naheliegend, als dass ich wie viele andere Initiatoren und Supporter bei MORE* selbst queer bin – und natürlich in einem Unternehmen arbeiten möchte, das seine Mitarbeiter*innen vorbehaltlos gleichbehandelt, unabhängig von Geschlecht, Religion, Hautfarbe oder eben sexueller Identität. So etwas funktioniert aber immer dann am besten, wenn es Menschen gibt, die sich in einem Unternehmen pro Vielfalt engagieren und mit gutem Beispiel vorangehen. Genau das möchten wir mit MORE* tun.
Mindestens genauso wichtig finde ich aber auch die Strahlkraft, die ein solches Engagement über den eigenen Arbeitsplatz hinaus haben kann. Wir erleben in Deutschland und vielen anderen Ländern derzeit ein partielles gesellschaftliches Rollback. Rechtspopulistisches Gedankengut gewinnt an Einfluss, und das meist auf Kosten von Minderheiten – was eben nicht nur Geflüchtete, Muslime oder Juden sind, sondern auch queere Menschen. Dem kann und möchte ich nicht tatenlos zusehen, weder privat noch im Arbeitsleben – und das geht vielen anderen hier auch so. Ich bin der Überzeugung, dass Konzerne in diesem Diskurs eine wachsende gesellschaftliche Verantwortung innehaben und aktiv Stellung pro Vielfalt beziehen müssen. MORE* ist für mich deshalb auch ein ganz klares Signal nach draußen – eines, das zeigt, dass wir in der Otto Group uns diesem Rollback nicht ergeben werden und auch weiterhin ein weltoffener, toleranter, bunter Konzern bleiben.
Was sind die nächsten Schritte, Wünsche und Ziele für das Netzwerk?
Ingo Bertram: Global arbeiten über 50.000 Menschen für die Otto Group. Die größte Herausforderung und somit für uns auch das wichtigste Ziel wird sein, möglichst viele dieser Menschen zu erreichen. Das klingt erst einmal trivial, ist es aber nicht. In den kommenden Monaten werden wir uns daher zunächst verstärkt um eine interne Vernetzung zwischen den über 120 Gesellschaften der Konzerngruppe bemühen, sowohl digital als aber auch mittels regelmäßigen Austauschformaten. Gleichzeitig möchten wir intern an verschiedenen Stellen die Sensibilisierung für queere Themen vorantreiben, sei es im Marketing und im Einkauf, bei unseren Onlineshop-Teams oder auch im Recruiting-Prozess. Ich denke, da sind wir schon jetzt auf einem guten Weg.
Vielen Dank für das Gespräch, Ingo!

Im Gespräch mit… Katharina Reimann
„Mein Coming Out findet gefühlt immer wieder statt, weil viele Menschen denken ich hätte nur eine Phase.“
Katharina Reimann ist selbstständige Goldschmiedin. Nach Stationen in Hamburg, Hanau und Trier, lebt und arbeitet sie nun in Wien. Den Sprung in die Selbstständigkeit wagte sie vor nicht allzu langer Zeit und eröffnete mit einer befreundeten Schmuckkünstlerin ihr eigenes Atelier.
Du identifizierst dich als bisexuelle Frau – was bedeutet das für dich?
Katharina Reimann: Vielleicht würde ich mich nicht als bisexuell, sondern sogar als pansexuell beschreiben? Denn sexuelle Anziehung ist für mich Personen- und nicht Geschlechterspezifisch. Das war für mich schon sehr früh klar und habe das auch ohne Scham kommuniziert.
Erzähl uns doch von deinem Coming Out.
Katharina Reimann: Mein Coming Out findet gefühlt immer wieder statt, eben weil viele Menschen denken: „Ah sie hat nur eine lesbische oder hetero oder whatever Phase.“ – weil sie mich gerade mit einer männlich oder weiblich konnotierten Person antreffen. Deswegen muss ich meine sexuelle Orientierung immer wieder erklären. Manchmal denke ich, ich müsste eine polyamore Beziehung zu mindestens zwei trans* Menschen, einer cis Frau und einem hetero cis Mann führen, damit mein Umfeld mir meine Orientierung „glaubt“.
„Im Alltag begegnet mir oft das Klischee der Untreue.“
Welche Fragen und Klischees in Bezug auf bisexuelle Menschen begegnen Dir im Alltag?
Katharina Reimann: Im Alltag begegnet mir oft das Klischee der Untreue. Da ich ja angeblich theoretisch mehr Möglichkeiten habe (auch so ein ätzendes Klischee) denken viele ich wäre flatterhaft und würde eher fremdgehen. Oft kommt auch die Aussage, ich würde nur etwas mit Frauen haben, weil es die Männer anmacht… „Really?! denke ich mir dann“. Ziemlicher Blödsinn also. Fragen gibt es leider wenige. Ich fände es angenehmer, gefragt zu werden als mich immer wieder gegen Vorurteile verteidigen zu müssen.
Welche konkreten Erfahrungen hast du mit deinem Coming Out als bisexuelle Frau am Arbeitsplatz bis jetzt gemacht?
Katharina Reimann: Ich habe schon in vielen verschiedenen Arbeitssituationen meinen Lebensunterhalt bestritten und habe die Erfahrung gemacht, dass im akademischen und künstlerischen Bereich die sexuelle Orientierung eher wenig bis keine Rolle spielt. In meinen Nebenjobs in der Gastro hingegen habe ich mich nie geoutet, da ich dort viel sexuelle Übergriffigkeiten erlebt und gesehen habe und mich nicht sicher gefühlt habe.
„Schafft euch sichere Räume, engagiert euch zum Beispiel in einem Netzwerk.“
Was würdest du Personen, die vor einem Coming Out (am Arbeitsplatz) stehen, mit auf den Weg geben?
Katharina Reimann: Da ich mich nur in Situationen geoutet habe, in denen ich mich wohl und sicher und ernst genommen gefühlt habe, obwohl ich generell eine sehr offene Person bin, würde ich sagen: Schafft euch sichere Räume, engagiert euch zum Beispiel in einem Netzwerk. Schaut, welche Strukturen es in eurem Unternehmen gibt, die darauf achten, dass Menschen nicht diskriminiert werden. Wie viel Privates teilt ihr mit anderen Kolleg_innen? Was sind eure Bedürfnisse – braucht ihr beispielsweise professionelle Unterstützung, die euch weiterhilft? Wollt ihr vielleicht aktiv auch an der sozialen Struktur des Arbeitsplatzes etwas ändern? Solche Dinge für sich zu wissen hilft oft, gute Entscheidungen für sich selbst zu treffen!
Was können und sollten Unternehmen Deiner Meinung nach tun, um die Sichtbarkeit von LGBT*IQ am Arbeitsplatz zu fördern?
Katharina Reimann: Unternehmen sollten generell ein Augenmerk auf sozialen Umgang legen. Fortbildungen anbieten, die Gemeinschaft stärken. Jegliche Art von Diskriminierung nicht zulassen. Mobbing oder Benachteiligung oder üble Nachrede gegen Kolleg_innen sollte ein Kündigungsgrund sein und das sollte auch offen kommuniziert werden. Gleichstellungsbeauftragte sollten die Regel sein und weitreichende Vetorechte haben. Generell sollte auch sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz thematisiert und irgendwann hoffentlich eliminiert werden. Soweit meine paradiesische Hoffnung…
Vielen Dank für das Gespräch, Katharina.

PROUT EMPLOYER Commerzbank
„Es muss zur Normalität werden, dass heterosexuelle und homosexuelle Menschen entspannt miteinander umgehen – und zwar in beide Richtungen.“
Jenny Friese, Bereichsvorständin Privat- und Unternehmerkunden Ost. Die Berlinerin absolvierte bei der Deutschen Bank eine Ausbildung zur Bankkauffrau. Seit 1999 nahm sie unterschiedliche Führungsaufgaben wahr. 2007 wechselte sie zur Commerzbank und übernahm die Leitung der Region Berlin City-West. Später leitete sie das Wealth Management in Berlin und den neuen Bundesländern. Seit dem 1. Februar 2015 verantwortet Jenny Friese als Bereichsvorständin die Betreuung von Privat-, Unternehmer- und Wealth-Management-Kunden in der Marktregion Ost.
Mit der “Reise nach Berlin” will die Marktregion Ost der Commerzbank dem Thema Diversity mehr Aufmerksamkeit verschaffen. Frau Friese, zum 7. Deutschen Diversity-Tag Ende Mai hat sich die Commerzbank bundesweit mit zahlreichen Aktionen engagiert. Die Marktregion Ost ist 2019 besonders aktiv – warum eigentlich?
Jenny Friese: Weil mir das Thema Diversity einfach unglaublich wichtig ist! Seit vier Jahren bin ich für das Segment Privat- und Unternehmerkunden Mitglied des Global Diversity Council (siehe Infokasten) und möchte gerade beim Thema „Frauen in Führung“ Vorbild sein und Orientierung geben. Insbesondere in herausfordernden Zeiten ist es wichtig, Menschen mit all ihren Unterschiedlichkeiten und Stärken zu verstehen, zu akzeptieren und zu unterstützen. Am Diversity Tag haben wir zu einer Abendveranstaltung Kolleginnen und Kollegen und auch Kunden eingeladen, um mit einem sehr interessanten Podium zum Thema „Warum ist LGBT-Engagement ein Erfolgsfaktor für Unternehmen?“ anregende Diskussionen zu führen. Das Feedback hat gezeigt, dass wir mit dieser ersten Etappe unserer „Reise nach Berlin“ für Aufmerksamkeit gesorgt haben.
„Für mich ist „Diversity leben“ ein Bestandteil meiner persönlichen Überzeugung. Es macht uns leistungsstärker, kreativer und zugleich menschlicher.“
Sie sprechen die „Reise nach Berlin“ an. Was hat es damit auf sich?
Jenny Friese: Im Laufe meiner Karriere hat sich gezeigt, dass heterogene Teams meist die erfolgreicheren sind. Mein Anliegen war es daher, diesen Ansatz weiterzuentwickeln. Es reicht dabei jedoch nicht aus, wenn Diversity als Teil der Personalstrategie „verordnet“ wird – ich werbe bei meinen Führungskräften dafür, dass sie sich für das Thema interessieren, tolerant und offen sind und dies in ihrer täglichen Arbeit zeigen. Nur so können sich alle Talente in unserer Bank wohlfühlen und voll entfalten. Darüber hinaus helfen Mitarbeiternetzwerke eine solche Unternehmenskultur zu stützen und durch eigene Erfahrungen Perspektiven zu öffnen. Als mich der Sprecher von unserem Mitarbeiternetzwerk Arco (siehe Infokasten) Holger Reuschling Ende letzten Jahres fragte, ob ich bereit wäre das LGBT-Thema als Schirmherrin noch stärker ins Top-Management zu tragen, ist der Funke bei mir schnell übergesprungen. Aus den ersten Gesprächen sind nun gemeinsame Ideen gewachsen, die konzeptionell in diesem Jahr in der „Reise nach Berlin“ umgesetzt werden. Der Begriff „Reise“ ist dabei symbolisch zu verstehen. Wir machen uns auf den Weg mit verschiedenen Veranstaltungen, um das Thema sichtbar zu machen und für ein diskriminierungsfreies Umfeld zu sorgen (siehe Infokasten).
Sie haben bei den bisherigen Anlässen mehrfach betont, dass gelebte Vielfalt Ihnen ein “Herzensthema” sei. Wie engagieren Sie sich denn persönlich?
Jenny Friese: Für mich ist „Diversity leben“ ein Bestandteil meiner persönlichen Überzeugung. Es macht uns leistungsstärker, kreativer und zugleich menschlicher. Das alles bringt uns sowohl privat als auch in unserem Arbeitsumfeld weiter. Als Führungskräfte haben wir hier auch eine Vorbildfunktion und können etwas bewirken. Ich nehme daher persönlich an vielen Veranstaltungen teil, sensibilisiere für dieses Thema und suche das Gespräch. In meiner jetzigen Funktion habe ich die Möglichkeit, meinen Botschaften noch mehr Nachdruck zu verleihen und für noch größere Aufmerksamkeit zu sorgen. Mir selbst sind Vorurteile nicht ganz unbekannt. Deshalb fühle ich mich verpflichtet, für Offenheit und Toleranz zu werben. Es muss zur Normalität werden, dass heterosexuelle und homosexuelle Menschen entspannt miteinander umgehen – und zwar in beide Richtungen.
Welche Vorteile haben die Commerzbank und ihre Kunden von einer solchen offenen Kultur?
Jenny Friese: Wir als Unternehmen profitieren in der Tat sehr stark. Studien zeigen, dass die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in einem vorurteilsfreien Arbeitsumfeld deutlich höher ist. Wir präsentieren uns bei der Suche nach den besten Talenten als offenes, modernes und tolerantes Unternehmen. Es ist erwiesen, dass junge LGBT-Talente bei der Wahl ihres Arbeitgebers sehr genau auf diese Werte achten. Darüber hinaus sind Teams, die eine offene Kultur pflegen, eher bereit, neue Wege zu gehen und Innovationen voranzutreiben. Auf der Kundenseite gibt es ähnliche Beobachtungen. Kaufentscheidungen werden oftmals durch die Wahrnehmung eines Unternehmens beeinflusst. LGBT sowie Familie und Freunde sind im Sinne einer Willkommenskultur erfahrungsgemäß besonders sensibel. Gleichzeitig gilt die Gruppe mit Blick auf ihre Kaufkraft als besonders lukrativ.
„Es geht bei LGBT nicht um eine private Einstellung, sondern um eine sexuelle Orientierung, die man sich nicht aussuchen kann. Dieser Irrtum führt ganz oft in die falsche Richtung. Genau deshalb kann ich nur Jedem empfehlen, sich inhaltlich mit dem Thema auseinanderzusetzen.“
Klingt ermutigend. Andererseits zeigen Studien jedoch auch, dass gerade in Deutschland junge Arbeitnehmer im Vergleich zu anderen Ländern seltener ein „Outing“ wagen. Sie befürchten Karrierenachteile. Und das trotz aller Diversity-Bemühungen. Was also läuft da noch falsch?
Jenny Friese: Klassische Unternehmensstrukturen lassen sich oft nicht von heute auf morgen verändern. Und in diesem Prozess ist es wichtig, alle Management-Ebenen mitzunehmen, zu sensibilisieren, aufzuklären und Hemmschwellen abzubauen. Das Einfärben unseres Logos während der Christopher-Street-Day-Saison 2018 und die im Comnet geführte lebhafte Diskussion darüber haben gezeigt, dass trotz unserer offenen Kultur noch viele Vorbehalte und Unsicherheiten bestehen. Oftmals sind die Aktivitäten ausschließlich auf die LGBT-Zielgruppe ausgerichtet. Gemeinsame Veranstaltungen und Maßnahmen wie in der „Reise nach Berlin“ helfen jedoch, dies aufzubrechen. Dafür braucht es auch Personen, die sich trauen, an die Öffentlichkeit zu gehen und somit auch für andere Kollegen und Kolleginnen ein Vorbild sind.
Liegt es vielleicht auch daran, dass die sexuelle Orientierung als Privatthema angesehen wird?
Jenny Friese: Es geht bei LGBT nicht um eine private Einstellung, sondern um eine sexuelle Orientierung, die man sich nicht aussuchen kann. Dieser Irrtum führt ganz oft in die falsche Richtung. Genau deshalb kann ich nur Jedem empfehlen, sich inhaltlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Ein Homosexueller, der sich mit Angst um seine Karriere nicht outet, wird niemals den Menschen seines Herzens seinen Kollegen vorstellen und wird bei Gesprächen über Wochenende und Urlaub immer lügen müssen. Es geht nicht darum, über sexuelle Vorlieben zu reden. Aber während heterosexuelle Kollegen das Bild ihrer Frau auf dem Schreibtisch stehen haben, diese bei Abendveranstaltungen oder gemeinsamen Aktivitäten im Team mitbringen, bleibt diese Normalität einem nicht geouteten homosexuellen Mitarbeiter vorenthalten. Zu einem menschlichen und positiven Umfeld gehört es aber, auch offen über sein Privatleben reden zu können. Die Erfahrungen von Arco haben mir noch einmal verdeutlicht, dass es auch in unserem Unternehmen noch Menschen gibt, die nicht offen leben und ihre sexuelle Orientierung gegenüber Kolleginnen und Kollegen und vor allem gegenüber ihren Vorgesetzen nicht preisgeben. Trotz der offenen Kultur fehlt es an hochrangigen Führungskräften, die durch ihre Sichtbarkeit den vermeintlichen Widerspruch zwischen Outing und Karriere auflösen.
Und wie lautet Ihr Ausblick: Wo stehen wir beim 10. Diversity Tag in drei Jahren?
Jenny Friese: Ich wünsche mir, dass wir bis dahin erfolgreich für das Thema werben konnten. Darüber hinaus wäre es großartig, wenn sich immer mehr Menschen – unabhängig ihrer sexuellen Orientierung – für einander interessieren und offen und tolerant auf jeder Ebene und in jede Richtung miteinander umgehen.

PROUT EMPLOYER Continental
„Wir wollen ein deutlich sichtbares Signal nach innen und außen setzen, dass uns die Chancengleichheit am Herzen liegt.“
Matthias Metzger ist aktuell Personalleiter des Geschäftsbereichs Reifen bei Continental in Hannover. Nach dem Studium in Stuttgart und Hamburg (BWL) und Newcastle (MBA) begann er seine berufliche Karriere 2002 bei Daimler als Internationaler Trainee. 2005 erfolgte dann der Wechsel zu Continental, wo er in verschiedenen Managementfunktionen im HR-Bereich in Deutschland und USA tätig war, u.a. Business Partner, Leiter Shared Service NAFTA, Leiter Corporate Talent Management & Organizational Development.
Herr Metzger, als Head of HR sind Sie unter anderem Brücke zwischen Talenten, Mitarbeiter_innen und der Geschäftsführung. Welche Erfahrungen bezüglich LGBT*IQ-Chancengleichheit haben Sie dabei bisher gemacht?
Matthias Metzger: In den letzten Jahren hat sich unser Engagement für eine vielfältige Belegschaft deutlich verstärkt, auch mit Blick auf LGBT*IQ. So haben wir z.B. weltweit im Rekrutierungsprozess im Angestellten-Bereich ein standardisiertes Testverfahren eingeführt. Noch bevor die sonstigen Unterlagen geprüft werden, findet so eine erste Vorauswahl statt, ohne den Einfluss von Vorurteilen. Wir wollen den Best Fit! Darüber hinaus haben wir alle Führungskräfte weltweit in Diversity-Workshops sensibilisiert und fragen in der jährlichen Mitarbeiterbefragung auch das Thema Chancengleichheit ab.
Continental gehört mit dem Kooperationsstart 2019 zu den jüngeren PROUTEMPLOYER. Welche Aktivitäten gibt es bisher in Ihrem Unternehmen zu LGBT*IQ am Arbeitsplatz?
Matthias Metzger: Das Thema ist an sich im Unternehmen nicht neu, jedoch haben wir uns 2018 entschieden, es offensiver hervorzuheben. Der erste Schritt waren Stammtische an den großen Standorten in Regensburg und Hannover sowie die regelmäßige Teilnahme an der Sticks and Stones. Für 2019 planen wir weitere Aktivitäten, u.a. ein Dialog-Format mit unserer Personalvorstand Ariane Reinhart, Albert Kehrer und einer Reihe von LGBT*IQ-Kolleginnen und Kollegen, die über ihre Erfahrungen im Unternehmen berichten werden.
„Wenn wir ein für viele Menschen so sensibles Thema wie LGBT*IQ-Chancengleichheit im Unternehmen gut hinbekommen, dann haben wir einen großen Schritt geschafft hin zu einer echten gelebten Vielfalt.“
Was hat Sie dazu bewegt PROUTEMPLOYER zu werden und was wünschen Sie sich im Rahmen unserer gemeinsamen Kooperation?
Matthias Metzger: Wir wollen ein deutlich sichtbares Signal nach innen und außen setzen, dass uns die Chancengleichheit am Herzen liegt. PROUT AT WORK bietet einen tollen Rahmen hierfür, da zum einen die Sichtbarkeit erhöht wird, gleichzeitig auch verschiedenen Dialogformate bestehen, um von anderen Unternehmen zu lernen.
Sie waren sofort zu einem gemeinsamen Interview bereit – Danke nochmals dafür! Inwiefern ist LGBT*IQ-Chancengleichheit für Sie auch eine Herzensangelegenheit?
Matthias Metzger: Wenn wir ein für viele Menschen so sensibles Thema wie LGBT*IQ-Chancengleichheit im Unternehmen gut hinbekommen, dann haben wir einen großen Schritt geschafft hin zu einer echten gelebten Vielfalt. Dieser liberale Esprit überträgt sich dann auch auf die Akzeptanz anderer Lebens- und Arbeitsmodelle und dient somit allen. Und es hilft uns, Tabu-Themen, die in manchen Ländern stärker ausgeprägt sind als in anderen, greifbarer zu machen. Ich glaube fest daran, dass jeder Mitarbeiter das Recht hat erfolgreich zu sein – auf die jeweils eigene Art und Weise. Und dafür benötigt es eine Unternehmenskultur die Vielfalt fördert und schätzt.
Sie haben bei Continental das Bewerbungsverfahren ordentlich auf den Kopf gestellt. Einer Ihrer Gründe, warum Sie anstelle auf CVs auf Diagnostik zurückgreifen, ist die Förderung von Fairness und Vielfalt. Inwiefern glauben Sie das gerade LGBT*IQ-Talente hiervon profitieren könnten?
Matthias Metzger: Die Erneuerung unserer Bewerbungsverfahrens ist eine Initiative, an der Viele mitgearbeitet haben – und bei der es anfangs auch Widerstände und Zweifel gab. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Schul- und Hochschulnoten keine Prognose für beruflichen Erfolg darstellen, dennoch klammern sich viele Personaler daran, weil es scheinbar so einfach vergleichbar ist. Bei Continental wollen wir allen Talenten eine Chance geben und jeweils die beste Passgenauigkeit, also den Best Fit von Person und Stelle sicherstellen und das geht nur durch objektive Testverfahren.
Lieber Herr Metzger, vielen Dank für das Gespräch!

PROUT EMPLOYER Deutsche Bahn
„Ich bin davon überzeugt, dass wir das Potenzial dieser Vielfalt mehr denn je brauchen, um die heute notwendige Innovationskraft zu entfalten und als Unternehmen leistungsfähiger zu werden.“
Martin Seiler ist seit dem 1. Januar 2018 Vorstand Personal und Recht der Deutschen Bahn AG. Zuvor war er in verschiedenen HR-Funktionen bei der Deutschen Telekom tätig, zuletzt ab 2015 als Geschäftsführer Personal und Arbeitsdirektor für 70.000 Mitarbeiter der Telekom Deutschland sowie als Sprecher der Geschäftsführung der Telekom Ausbildung konzernweit für alle Auszubildenden und dualen Studenten verantwortlich. Seine berufliche Laufbahn begann er 1980 bei der Deutschen Post in Baden-Baden. Nach Stationen u. a. bei Deutscher Postgewerkschaft, wo er u. a. Mitglied des „Social Dialogue“ der Europäischen Kommission war, bzw. ver.di übernahm Seiler ab 2003 verschiedene Management Funktionen bei der Deutschen Post in Bonn.
Herr Seiler, Sie haben Ihre neue Funktion unter anderem als Personalvorstand der Deutschen Bahn AG im Januar 2018 angetreten. Einen starken Schwerpunkt Ihrer aktuellen Aufgaben legen Sie auf das Recruiting. Inwiefern glauben Sie das gerade LGBT*IQ-Talente hiervon profitieren könnten?
Martin Seiler: Es stimmt, wir stellen derzeit auf Rekordniveau ein: allein im vergangenen Jahr haben wir mehr als 24.000 Mitarbeitende im Konzern begrüßt. Neue Kolleg*innen, die die große Vielfalt in unserer Belegschaft weiter bereichern, in jeder Hinsicht: Alter, ethnische Herkunft, Religion, Geschlecht und auch sexuelle Orientierung. Wir schätzen diese Vielfalt und betrachten Diversity als einen Gewinn für den Konzern. Unsere aktuelle Arbeitgeberkampagne heißt „Willkommen, du passt zu uns“ und steht genau für diese Offenheit. Alle motivierten Bewerber*innen sind uns herzlich willkommen – unabhängig von sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität und ethnischer Herkunft.
Welche Aktivitäten gibt es bisher bei der Deutschen Bahn zu LGBT*IQ am Arbeitsplatz?
Martin Seiler: Da gibt es viele Beispiele, so waren wir Vorreiter in puncto Anerkennung der eingetragenen Lebenspartnerschaften: sämtliche Regelungen zu Vergünstigungen für Ehepartner*innen unserer Beschäftigten (z.B. Fahrvergünstigungen, Freistellungsregelungen und Beihilfen) sind auch auf eingetragene Lebenspartner*innen übertragen worden. Wir haben mit dem Betriebsrat eine Anti-Diskriminierungsvereinbarung abgeschlossen, die sowohl für die alltägliche Zusammenarbeit als auch in Bezug auf Karrierechancen gilt. Unser Anspruch ist eine Unternehmenskultur, in der Homo- und Transphobie nicht vorkommen. Deshalb bin ich sehr stolz, dass auch Mitarbeiter*innen der DB unter Germanys Top 100 Out Executives sind. Wir unterstützen unser internes LGBT-Mitarbeiternetzwerk „railbow“ und zeigen auch nach außen Flagge: seit Jahren schon beim den CSD-Paraden, und im letzten Jahr erstmals auch durch die Beflaggung des Berliner Hauptbahnhofs während der Pride-Week.
„Als Konzern mit 200.000 Mitarbeiter*innen allein in Deutschland engagieren wir uns schon seit vielen Jahren für Chancengleichheit, Wertschätzung und Respekt und als Vorstand für Personal und Recht kann ich mich immer wieder für die Vielfalt unserer Belegschaft begeistern.“
Die Deutsche Bahn ist Teil der PROUT EMPLOYER-Kooperation! Welche Ziele verfolgt die Deutsche Bahn Ihrer Einschätzung nach mit der PROUT EMPLOYER-Kooperation?
Martin Seiler: Durch die Mitgliedschaft bei PROUT AT WORK können wir unseren Mitarbeiter*innen konkrete und praktische Hilfestellung beim Coming Out am Arbeitsplatz und bei der Netzwerkarbeit bieten. Wir wollen ihnen Unsicherheiten nehmen, Gelegenheit zum Austausch untereinander geben und den Mut, uns auch zu spiegeln, wenn eine Sache mal nicht so gut läuft. Dank der zahlreichen Veranstaltungen und Veröffentlichungen von PROUT AT WORK können wir auch unsere Expertise zu LGBT*IQ-Themen am Arbeitsplatz ausbauen und neue Impulse innerhalb der DB weitergeben.
Mit Ihrem starken Fokus auf HR und Recruitment scheinen die Mitarbeiter*innen für Sie einen besonderen Platz zu haben. Inwiefern ist auch LGBT*IQ-Chancengleichheit für Sie eine Herzensangelegenheit?
Martin Seiler: Als Konzern mit 200.000 Mitarbeiter*innen allein in Deutschland engagieren wir uns schon seit vielen Jahren für Chancengleichheit, Wertschätzung und Respekt und als Vorstand für Personal und Recht kann ich mich immer wieder für die Vielfalt unserer Belegschaft begeistern. Ich bin davon überzeugt, dass wir das Potenzial dieser Vielfalt mehr denn je brauchen, um die heute notwendige Innovationskraft zu entfalten und als Unternehmen leistungsfähiger zu werden. Und nicht zuletzt profitieren unsere Kund*innen von einer offenen, wertschätzenden Kultur, in der Mitarbeiter*innen ihre sexuelle Orientierung nicht verstecken und sich am Arbeitsplatz wohlfühlen.
Lieber Herr Seiler, vielen Dank für das Gespräch!

PROUT EMPLOYER VINCI ENERGIES DEUTSCHLAND
„WIR ALS DEUTSCHE KONZERNSPARTE WOLLEN AUCH FLAGGE ZEIGEN UND UNS KLAR GEGEN DISKRIMINIERUNG POSITIONIEREN.“
Stefan Falk, geboren 1968, steht seit 2005 an der Spitze der Fire Protection Solutions Gruppe. Nach seinem Ingenieurstudium startete er seine Berufslaufbahn 1994 bei einem großen Brandschutzanbieter, den er nach sechs Jahren in unterschiedlichen Führungsfunktionen verließ. 2001 trat er in die Calanbau Brandschutzanlagen GmbH ein und wurde 2004 zu deren Geschäftsführer berufen. Unter seiner Führung wurden weitere Gesellschaften im gleichen Marktsegment erworben in der „Fire Protection Solutions Gruppe“ zusammengefasst.
Am 01. Januar 2016 wurde Stefan Falk zum Geschäftsführer der VINCI Energies Deutschland Schutzsysteme bestellt und übernahm den Vorsitz der Geschäftsführung der G+H Group.
Seit 2017 ist er zusammen mit Frank Westphal Geschäftsführer von VINCI Energies Deutschland.
WAS HAT SIE DAZU BEWEGT PROUT EMPLOYER ZU WERDEN?
Stefan Falk: Unser Konzern VINCI betreibt eine entschlossene Gleichstellungspolitik die gegen jede Form der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vorgeht. Vielfalt wird bei VINCI geschätzt und gefördert. Wir als deutsche Konzernsparte wollen auch Flagge zeigen und uns klar gegen Diskriminierung positionieren.
MIT WELCHER INITIATIVE IN BEZUG AUF LGBT*IQ-CHANCENGLEICHHEIT AM ARBEITSPLATZ HATTEN SIE IN IHREM UNTERNEHMEN BEREITS ERFOLG?
Stefan Falk: Wir haben konkret eine betroffene Person auf ihrem Weg zum coming-out begleitet. Wir möchten allen Mitarbeiter_innen Chancengleichheit bieten, ihnen die Möglichkeit geben sich zu outen und offen kommunizieren zu können.
„Wir wollen zeigen, dass uns dieses Thema wichtig ist. Chancengleichheit ist nicht nur eine Floskel, sondern gelebte Praxis.“
WOBEI ERHOFFT IHR EUCH/ ERHOFFEN SIE SICH KONKRETE UNTERSTÜTZUNG VON PROUT AT WORK?
Stefan Falk: Wir möchten das Netzwerk nutzen, um uns mit anderen Unternehmen auszutauschen und und uns weiterentwickeln zu können.
WELCHE ZIELE VERFOLGEN SIE MIT DER PROUT EMPLOYER-KOOPERATION?
Stefan Falk: Wir wollen zeigen, dass uns dieses Thema wichtig ist. Chancengleichheit ist nicht nur eine Floskel, sondern gelebte Praxis.
WELCHE AKTIVITÄTEN GIBT ES BEI VINCI ENERGIES DEUTSCHLAND ZU LGBT*IQ-DIVERSITY?
Stefan Falk: Durch die VINCI Ethik Charta und viele weitere Maßnahmen ist das Thema Diversity heute fester Bestandteil der Managertrainingsprogramme. In Frankreich hat VINCI ein Netz von mehr als 200 Diversity-Beauftragten, deren Hauptaufgabe in der Bewusstseinsschärfung und Diversity Training in den einzelnen Sparten und Unternehmen des Konzerns besteht. Wir möchten nun in Deutschland das Thema vorantreiben und fördern.
WARUM IST ES FÜR SIE EINE HERZENSANGELEGENHEIT LGBT*IQ ZU UNTERSTÜTZEN?
Stefan Falk: Weil ich in meinem privaten und beruflichen Umfeld erlebt habe, dass es Personen schwer fällt, über ihre Andersartigkeit zu sprechen und beruflich zurückhaltend sind. Mitarbeiter_innen die zufrieden sind und sich wohlfühlen, können erfolgreicher arbeiten.
LIEBER HERR FALK, VIELEN DANK FÜR DAS GESPRÄCH!

Im Gespräch mit… Maren Borggräfe
„Die Befürchtung – so subjektiv sie sein mag – hat in jedem Falle erst einmal ihre Berechtigung.“
Maren Borggräfe, Gründerin und Partnerin von autenticon – consulting in context, begleitet als systemische Beraterin, Trainerin
und Coach persönliche und organisationale Veränderungs-prozesse.
Ihre Herzensthemen sind Wandel von Unternehmenskultur und gelingende Kommunikation. Sie begleitet als Trainerin das PROUT AT WORK-Seminar „Soll ich oder soll ich nicht?“ Coming Out am Arbeitsplatz.
Maren, Du bist dieses Jahr zum 3. Mal in Folge als Trainerin für das Coming Out Seminar „Soll ich oder soll ich nicht“ von PROUT AT WORK engagiert. Welchen Bezug hast Du zum Thema LGBT*IQ und Coming Out?
Maren Borggräfe: Als ich 19 Jahre alt war, kurz nachdem ich aus einer süddeutschen Kleinstadt zum Studium nach Berlin gekommen war, dämmerte mir, dass ich mich auch in Frauen verlieben kann – und das heftig! Das war für mich – aus einem sehr religiösen Elternhaus stammend – bisher völlig außerhalb jeder Denkmöglichkeit gewesen. Denn Homosexuelle waren aus meiner Sicht Sünder, die sich bemühen mussten, wieder auf den rechten Weg zu kommen. Was für ein Schock – für mich, aber vor allem für meine Eltern! Meine Mutter hat recht schnell gespürt, dass irgendwas im Busch war, so dass ich keinen anderen Ausweg sah, mich relativ schnell zu Hause zu outen. Danach nahm das Schicksal seinen Lauf. Meine Eltern lehnten meine „unnormalen“, nicht gottgewollten Neigungen ab und können bis heute mein Lebensmodell nicht vollständig akzeptieren. Und das, obwohl ich nach einigen Irrungen und Wirrungen seit 14 Jahren mit meiner Frau zusammen bin und wir zwei wunderbare Jungs zusammen haben. Aus der eigenen Erfahrung heraus weiß ich, in welche inneren und äußeren Nöte einen das Coming Out bringen kann. Gleichzeitig habe ich aber auch erlebt, wie sehr die Auseinandersetzung mit sich selbst zur eigenen Reifung beiträgt und welche Kraft ich aus dieser Facette meiner Persönlichkeit schöpfen kann, wenn ich voll dazu stehe und sie offen lebe.
„Aus der eigenen Erfahrung heraus weiss ich, in welche inneren und äusseren Nöte einen das Coming Out bringen kann.“
Welche Erfahrungen hast Du bei Deinem Coming Out gemacht?
Maren Borggräfe: Mein Coming Out in der Familie war ein steiniger Weg, angefangen vom elterlichen Verbot, darüber gegenüber Dritten, sogar den eigenen (jüngeren) Brüdern zu reden, über Phasen der völligen Entfremdung von meinen Eltern bis hin zu der überraschenden Erkenntnis, dass Unterstützung von unvermuteter Seite kommen kann. So haben meine Großeltern und meine Tanten mütterlicherseits mich von Anfang an sehr unterstützt und auch meine Oma väterlicherseits reagierte überraschend gelassen. Andere Familienmitglieder lehnten es wie meine Mutter ab, zu meiner Hochzeit zu kommen. Das schmerzte damals sehr. Geholfen hat mir ein ganz aktiver durch eine professionelle Coach begleiteter Prozess der Annahme – meiner selbst, aber auch der Menschen, die Schwierigkeiten mit meinem so sein hatten und haben. Die Erkenntnis, dass jede und jeder es eben so gut macht, wie sie oder er kann, und ich eine Haltungsveränderung bei anderen nicht selbst herbeiführen oder gar erzwingen kann, war ganz wichtig für mich. Ich habe dadurch innere Freiheit gewonnen, konnte die Rebellin in mir versöhnen und dadurch auch wieder den Boden für Annäherung, gerade mit meiner Mutter, bereiten.
Im Freundeskreis und beruflich habe ich bis auf ganz wenige Ausnahmen sehr gute Erfahrungen mit dem Coming Out gemacht. Je offener ich selbst mit meiner Lebensweise umgehe, umso offener sind auch die Reaktionen. Am Arbeitsplatz bin ich ganz unterschiedliche Wege gegangen beim Coming Out. Da ich meine Frau bei der Arbeit kennengelernt habe, während wir beide noch in der Probezeit waren, haben wir uns zunächst sehr zurückgehalten. Bis eine eigentlich nicht Eingeweihte und fragte, ob wir noch zusammen seien, es gingen Gerüchte herum, wir hätten uns getrennt. Danach hielten wir es nicht mehr für erforderlich, um den heißen Brei rumzureden. Tatsächlich war kaum jemand überrascht. Kein Wunder! Wir waren sowas von verliebt. Das lässt sich schwer verbergen. Bei einem späteren Arbeitgeber habe ich mich vor versammelter Mannschaft geoutet bei der Vorstellungsrunde der „Neuen“, indem ich als Hobby mein politisches Engagement im LGBT*I-Bereich genannt habe. Auch hier waren die Reaktionen eher anerkennend und bestätigend, wenn auch spürbar war, dass ich als irgendwie „anders“ wahrgenommen wurde. Seit ich selbständig bin, handhabe ich es so, dass ich bei Kooperationspartnern und Kunden, abhängig von der Situation, von meiner Familie erzähle oder auch nicht. Einfach so, wie jeder Hetero auch abhängig vom Bauchgefühl mehr oder weniger Privates erzählt.
Warum ist Deiner Meinung nach ein Coming Out am Arbeitsplatz wichtig?
Maren Borggräfe: Ich bin überzeugt, dass Menschen dann am kreativsten, innovativsten und effektivsten Arbeiten, wenn sie sich in ihrer Arbeitsumgebung wohlfühlen, ihren Kolleg_innen und Vorgesetzten vertrauen und sich in der Ganzheit ihrer Persönlichkeit zeigen dürfen. Wenn ich einen Teil meiner Energie darauf verwenden muss, einen Anteil meiner eigenen Persönlichkeit zu verbergen, fahre ich quasi mit angezogener Handbremse. Das ist sehr anstrengend und energieraubend. Kraft, die ich für meine Arbeit gut gebrauchen könnte, geht verloren. Ich befinde mich im ständigen inneren Konflikt mit mir selbst. Authentisches Auftreten ist dann schwierig. Denn wir Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür, wenn unser Gegenüber sich nicht in sich stimmig verhält. Gerade für Führungskräfte kann das zum Problem werden. Abgesehen davon, dass wir erpressbar sind, wenn wir ein Geheimnis haben, ist es eine ständige Wackelpartie, sich zu exponieren – und das fordert die moderne Arbeitswelt häufig von uns. Der dabei entstehende Stress kann sogar krank machen und zu psychosomatischen Symptomen führen.
Umgekehrt kann ich eine Organisation durch mein offenes Auftreten unheimlich bereichern und zur Diversität beitragen, die – das ist wissenschaftlich erwiesen – Voraussetzung ist für die hohe Leistungsfähigkeit von Teams. Ich kann ein Stück Kultur mitgestalten und durch mein Vorbild auch anderen den Weg bereiten.
„Grundsätzlich möchte ich allen da draußen, die noch am Zaudern sind (und es gibt noch viel mehr davon, als wir ahnen!), Mut machen!“
Was würdest Du LGBT*IQ Beschäftigten raten, die die Befürchtung haben bei ihrem Coming Out am Arbeitsplatz auf Ablehnung zu stoßen?
Maren Borggräfe: Die Befürchtung – so subjektiv sie sein mag – hat in jedem Falle erst einmal ihre Berechtigung. Jede und jeder kann selbst entscheiden, ob und wenn ja, wann und wie er oder sie sich outet. Das ist mir ganz wichtig zu sagen. Insbesondere im Kontext des organisationalen Diversity Managements, das ja teilweise das Coming Out als wünschenswert darstellt. Das ist eine ganz persönliche Entscheidung, die weitreichende Folgen haben kann.
Ich empfehle, sich mutig Unterstützung zu holen. Das kann ein Freund, eine Freundin sein, zu der wir Vertrauen haben, ein Ansprechpartner in der Organisation z.B. aus dem LGBT*I-Netzwerk, falls vorhanden, oder ein professioneller Coach. PROUT AT WORK bietet regelmäßig das Seminar „Soll ich oder soll ich nicht? Coming-Out am Arbeitsplatz“ an. Dort können sich LGB angeleitet von erfahrenen Trainer_innen in geschütztem Rahmen austauschen, ihre bisherigen Coming-Out-Erfahrungen reflektieren, neue Verhaltensweisen ausprobieren und sich gegenseitig für das Coming Out im Job stärken. Auch immer mehr Coaches offerieren Begleitung beim Coming Out an. Häufig kommen diese – so wie ich – selbst aus der LGBT*I Community und kennen die besonderen Herausforderungen aus eigenem Erleben.
Es hilft vielen, die vor der Entscheidung stehen, sich selbst zu am Arbeitsplatz zu outen, sich mit den eigenen bisherigen Erfahrungen mit dem Coming Out in anderen Kontexten auseinanderzusetzen. Was habe ich erlebt? Wie habe ich mich dabei gefühlt? Was waren typische Reaktionen anderer und wie ging es mir damit? Was waren meine „Helferlein“, Strategien und Verhaltensmuster, die mir halfen, mit der schwierigen Situation umzugehen? Welche davon stärken mich vielleicht für die jetzige Situation? Welche möchte ich lieber ablegen und wie möchte ich es diesmal stattdessen angehen?
Auch sollten Beschäftigte sich gut informieren, ihr Umfeld beobachten und realistisch einschätzen: Wie offen ist die Organisationskultur? Wie wird hier grundsätzlich mit Fremdem umgegangen? Welche offenen LGBT*I gibt es in der Firma? Welche Risiken hat ein Coming Out? Und bin ich bereit, diese zu tragen? Wie wichtig ist es mir, mich zu outen? Und welchen Nutzen habe ich davon? Bin ich ggfs. bereit, auch den Arbeitgeber zu wechseln, wenn es nicht passt?
Grundsätzlich möchte ich allen da draußen, die noch am Zaudern sind (und es gibt noch viel mehr davon, als wir ahnen!), Mut machen! Traut euch, euch zu zeigen. Wenn ihr in eurer Mitte seid und zu euch steht, tun sich unerwartete Wege auf. Das was ihr aussendet, kommt zu euch zurück!

Im Gespräch mit… Ise Bosch
„Die Überreste der eigenen Vorurteile abbauen!“
Ise Bosch ist Gründerin und Geschäftsführerin der Dreilinden gGmbH in Hamburg, die sich für die Rechte von lesbischen, bi-, trans* und inter* Menschen, Frauen und Mädchen einsetzt, und Mitgründerin von filia.die frauenstiftung.
Die zertifizierte Ecoanlageberaterin tritt öffentlich für den verantwortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit Vermögen ein. 2003 gründete sie zusammen mit anderen Frauen das Erbinnen-Netzwerk Pecunia e. V. 2007 erschien im Verlag C.H. Beck ihr Buch „Besser spenden! Ein Leitfaden für nachhaltiges Engagement“, 2018 ihr Buch „Geben mit Vertrauen“.
2017 erhielt Ise Bosch den Transformative Philanthropy Award der Astraea Lesbian Foundation for Justice in New York City. 2018 erhielt sie den Deutschen Stifterinnenpreis.
Frau Bosch, warum setzten Sie sich mit Dreilinden für LGBT*IQ-Menschen weltweit ein?
Ise Bosch: Die Frage sollte lauten: warum setzen sich so wenig Menschen und Institutionen hierfür ein. LGBTIQ-Menschen gehören zu den gefährdetsten sozialen Gruppen überhaupt. Trans-Frauen sind fast fünfzigmal eher HIV positiv als der Durchschnitt der Bevölkerung, beispielsweise, und kaum jemand macht so viele Selbstmordversuche wie LGBTQ Jugendliche. Dennoch ist Dreilinden eine von nur zwei Stiftungen in Deutschland, die auf dieses Thema spezialisiert sind und international fördern. Deutsche Förderungen zu diesem Thema ins Ausland – inklusive öffentlicher Förderungen – beliefen sich 2016 auf bescheidene 3,1 Mio. Euro. Die darin enthaltenen 684.000 Euro von Dreilinden sind mehr als die Summe, die unser Entwicklungsministerium diesem Thema widmet.
Im Rahmen unserer PROUT AT WORK-Konferenz 2018, befassen wir uns unter anderem mit der Situation von LGBT*IQ-Personen in Russland, der arabischen wie auch afrikanischen Welt. Wo sehen Sie Unterschiede in der Gleichstellungsarbeit innerhalb der unterschiedlichen globalen Regionen? Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten?
Ise Bosch: Diese Antwort wird hier nur sehr pauschal sein können und es gibt immer Gegenbeispiele. Grundsätzlich ist zu beobachten, dass stark religiös geprägte Kulturen geschlechtliche Vielfalt eher ablehnen – nicht nur der Islam, auch katholische und evangelikalisch-christliche Religionen. Sogenannte Verfolgerstaaten mit starker rechtlicher Diskriminierung bis hin zur Todesstrafe für Sex unter Männern finden sich vermehrt ehemals kolonialisierten Ländern. Die Verfolgung hat einen Hintergrund noch aus der Kolonialzeit – die Sittengesetze sind häufig noch die der Kolonialmächte! Sie sind eine enorm wirkmächtige Hinterlassenschaft der Missionierung – durch uns, die Europäer. Strukturelle gesellschaftliche Diskriminierung macht das Leben für queere Menschen ebenso gefährlich wie rechtliche Diskriminierung – besonders wenn eine Kultur stark patriarchalisch geprägt ist, so wie viele Gesellschaften des ehemaligen Ostblocks, gerade in Russland, der Ukraine und den zentralasiatischen Republiken. Und wenn sich eine Gesellschaft nationalistisch abschottet und militaristischer wird, dann wird die Geschlechter-Binarität forciert, das geht grundsätzlich immer zu Lasten von sexuell und geschlechtlich diversen Menschen.
Gibt es aus Ihrer Sicht eine unternehmerische Verantwortung für LGBT*IQ Menschen weltweit?
Ise Bosch: Natürlich, schon allein aus Verantwortung für die Mitarbeitenden – ob sie nun selbst zur „community“ gehören oder Angehörige oder Freund_innen dort haben oder einfach die Möglichkeit haben wollen, sich persönlich frei zu entwickeln. Unternehmen haben natürlich ein Interesse am Wohlergehen ihrer Mitarbeiter_innen, nicht nur weil sonst die Produktivität leidet, sondern einfach so, aus Verantwortung als Arbeitgeber. Und damit haben sie auch ein Interesse an liberaleren Gesetzen. Es ist ein Unding, wenn einzelne Mitarbeiter_innen nicht nach Singapur entsandt werden können, weil es dort diskriminierende Gesetze gibt. Aber solange diese Gesetze und das gesellschaftliche Tabu existieren, brauchen die Mitarbeitenden Ansprechpartner_innen im Unternehmen, die sie vertrauensvoll beraten können. Dazu muß das Unternehmen sehr deutlich klarstellen, daß es Diversität unterstützt und sich um die entsprechende Expertise bemüht. Es geht ja nicht nur um die wenigen lesbischen und schwulen Menschen und die noch weniger trans und inter Personen, es geht um Entfaltungsmöglichkeiten für alle. Die Soziologie weiß inzwischen, dass wesentlich mehr Menschen im Lauf ihrer Biographie die sexuelle Orientierung ändern, als früher angenommen wurde.
Das Center for Talent Innovation proklamierte in einer 2016 veröffentlichten Studie, dass Unternehmen den Einfluss ihrer jeweiligen Wirtschaftsmacht in der Arbeit um rechtliche Chancengleichheit für LGBT*IQ-Personen nicht unterschätzen sollen. Wo sehen Sie konkrete Handlungsmöglichkeiten global agierender Unternehmen?
Ise Bosch: In mindestens zwei Hinsichten: erstens können sie diskriminierungsarme Arbeitsplätze bieten, und im Fall eines Konfliktes auch Schutz. Und zweitens haben sie vor Ort einen ganz besonderen Zugang zur Verwaltung, Regierung, etc. Nicht nur um formell intervenieren zu können – auch über ihre Beziehungen. Gerade mächtige „Expatriates“ begegnen Menschen mit allerhand Einfluss und können, oder könnten, Hilfe leisten wie sonst kaum jemand. Nicht nur in Krisenfällen natürlich, auch im Sinn einer Horizonterweiterung, durch ihre liberalere Einstellung. Homo- und Transphobie hat eine starke Komponente der schlichten Ignoranz – Menschen kennen das Thema schlecht, sie haben Fragen, die sie aber nicht offen stellen, weil sie verunsichert sind und eine Art „Ansteckung“ fürchten. Wir müssen Situationen finden, in denen die legitimen Fragen gestellt werden können, und sie auch beantworten. Das direkte Gespräch ist dafür natürlich das Beste, und eine vertrauensvolle Situation. Auch Menschen, die nicht zur „community“ gehören, aber ein gewisses „Standing“ haben, können hier Biographien positiv verändern.
Wir befinden uns in ambivalenten Zeiten. So beschrieben Sie in der vierten Ausgabe Ihrer Regenbogen-Philanthropie, zum einen das wachsende Verständnis, dass Diskriminierung von LGBT*IQ-Personen Unrecht ist, zum anderen ihre Lage jedoch nicht weniger – wenn nicht sogar zunehmend prekärer wird. Welchen Beitrag kann jede_r einzelne von uns leisten, dass die Welt für LGBT*IQ Menschen etwas besser wird?
Ise Bosch: Die Überreste der eigenen Vorurteile abbauen! Sich trauen, die eigenen kritischen Fragen zu stellen: wo wird’s für mich peinlich, wo sind meine Ängste? Und dann trotzdem öffentlich das Wort ergreifen. Und echte Freundschaften eingehen. Persönliche Freundschaften geben einen unersetzlichen Hintergrund, um für Menschen, die geschlechtlich oder sexuell anders gestrickt sind, auch aufstehen zu können. Und vieles davon ist übertragbar, es gilt in China und in Chemnitz.
Was glauben Sie hält Die Zukunft für die Gleichstellung von LGBT*IQ-Menschenrechten bereit?
Ise Bosch: Die Globalisierung ist hier besonders wirkmächtig und sicherlich unumkehrbar. Menschen haben sich schon immer vielfältig geschlechtlich ausgedrückt – nun wird das überall medial erfasst und damit sichtbar. Ich erwarte auf viele, viele Jahre ein Hin und Her zwischen denen, die sich bedroht fühlen und diese Vielfalt bekämpfen, und jungen Leuten, die einfach sind, wie sie sind. Deren Mittel sind aber stärker geworden. Ich glaube, in einer nicht allzu fernen Zukunft wird „community“ und Hilfe für alle geschlechtlich diversen Menschen irgendwie erreichbar sein. Auch wenn die demokratischen Systeme derzeit immer prekärer werden – diese mediale und gelebte Vielfalt wird sich nicht unterdrücken lassen. Das wird für die Einzelnen ein riesiger Fortschritt sein gegenüber jetzt, wo noch immer die meisten jungen geschlechtlich diversen Menschen glauben, sie wären die einzigen mit diesem „Mangel“.